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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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mit dem Kürzel co.uk am Ende, allerdings von einem anderen Account gesendet, den Ella nicht kannte. Alle drei nur ein paar Tage alt und ohne Betreff.
    Gestern war der Patient, von dem ich dir schon ein paarmal erzählt habe, wieder da. Er ist mir immer etwas unheimlich gewesen, und ich wusste nie genau, warum. Aber beim letzten Termin hat er mir eine echt furchteinflößende Geschichte erzählt, bei der es mir eiskalt den Rücken hinuntergelaufen ist. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll, und dabei dachte ich, mich könnte nichts mehr aus der Bahn werfen. Zuerst habe ich mich schlichtweg geweigert, das, was er mir erzählt hat, auch nur ansatzweise zu glauben, doch es lässt mich nicht mehr los, und wenn es wahr ist
    Hier brach die erste E-Mail ab, und Ella klickte die zweite an, die ebenfalls von Anni war.
    Ich habe beschlossen, die Geschichte zu überprüfen, und falls du nichts mehr von mir hören solltest, ist sie wahr und ich bin entdeckt worden. Ich weiß nicht, was sie dann mit mir machen, aber vielleicht bin ich schneller als sie und kann das Schlimmste verhindern. Viel Zeit bleibt mir so oder so nicht mehr, die Anfälle kommen neuerdings wieder häufiger. Überall rieche ich Feuerstein und Schwefel, und Ronin spielt verrückt. Ich habe auch das Gefühl, dass Patrick mich beschattet. Ich dachte, ich hätte ihn gestern Nacht unten auf dem Platz im Licht einer Laterne gesehen, aber vielleicht war es nur Einbildung, eine Halluzination. Oder ein Déjà-vu.
    Ciao Bächlein, ich bin froh, dass wir uns noch einmal wiedergesehen haben, und vielleicht ist das Ganze ja nur eine Chimäre, die kreischend in den kahlen, zugigen Korridoren von Mister Bipolars Hirn herumflattert. Zur Sicherheit schicke ich diese E-Mails von einem anderen Account ab. Aber ich fürchte
    Auch diese Mail endete so abrupt wie die erste, als wäre das, was Anni fürchtete, zu schrecklich, um es niederzuschreiben. Oder die Mails regten sie so auf, dass sie sich in einen Status epilepticus steigerte und es gerade noch schaffte, den Senden -Knopf zu drücken, bevor sie einen Anfall erlitt.
    Besorgt rief Ella die dritte Nachricht auf.
    Es ist wahr. Ich habe einen Fuß in die Hölle gesetzt, und es gibt keine andere Möglichkeit, ich muss weitergehen. Aber ich habe auch Angst um dich, deshalb flehe ich dich an, Ella, vergiss mich! Vergiss, dass du mich kennst. Vergiss, dass wir Freundinnen waren, und falls dich jemand darauf ansprechen sollte: Du kennst mich nicht! Noch besser: Renn weg, so weit du kannst, versteck dich irgendwo auf dem Land, wo dich niemand findet!
    Ich habe dir damals gesagt, dass ich den Kontakt zu dir abgebrochen hätte, weil ich mich geschämt habe, wegen Patrick, wegen meiner Krankheit. Das war eine Lüge. Ich habe mich von dir ferngehalten, um dich zu schützen. Es hat sich herausgestellt, dass ich niemanden schützen kann. Dich nicht. Mich nicht. Max nicht.
    Ich habe versucht, alles aufzuschreiben, solange ich noch bei klarem Verstand bin, und es dir zu schicken, in einem Brief, denn E-Mails sind nicht sicher, nichts ist sicher, sie haben Zugriff auf jedes Wort, jedes Bild, jede Ziffer im Netz. Sie hören auch die Telefonate mit. Ruf mich nicht an! Hörst du? Ruf mich auf keinen Fall an!
    Wenn sie das hier lesen, müsste der Brief schon bei dir sein. Ich habe keinen Absender genannt, und er ist auch nicht an dich adressiert, aber du wirst ihn trotzdem erhalten. Warte, ich höre was an der Tür
    Ella stellte fest, dass sie den Atem angehalten hatte. Das Blut hämmerte an ihren Schläfen. Sie hatte das Gefühl, bei Anni zu sein, mit ihr zu lauschen, zu hören, wie sich etwas an ihrer Tür zu schaffen machte …
    Jäh zerriss das Schrillen der Klingel die Stille, und ihr Herz zuckte; es sprang hart gegen ihre Rippen.

1 1
    Ella schlüpfte in ihren Morgenmantel, knotete den Gürtel zu und ging zur Tür. Sie spähte durch den Spion. Der Korridor vor der Wohnung lag im Halbdunkel, denn die Lampe an der Wand gegenüber war schon seit zwei Wochen kaputt. Vor der Wand zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab, der so dicht an der Schwelle stand, dass es schien, als lausche er an der Tür. Er bewegte sich nicht, stand nur da mit abgewandtem Gesicht und wartete. Dann klingelte er noch einmal.
    »Wer ist da?«, rief Ella.
    »Ich«, sagte der Mann. »Julian.«
    Sie hängte die Kette aus, drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete. »Wie bist du unten reingekommen?«, fragte sie.
    »Die Tür war offen«, sagte Julian

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