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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Nachttisch klingelte erneut, und diesmal meldete sie sich, ohne zu zögern. »Ja, verdammt, wer ist da?« Sie hörte das schnelle, hechelnde Atmen, dann eine Männerstimme: »Doktor Bach? Ella Bach?«
    »Ja.«
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Wer sind Sie?«
    »Sind sie schon bei Ihnen?«
    »Wer?« Ella versuchte sich zu erinnern, wo sie die Stimme schon einmal gehört hatte.
    »Sie beobachten uns«, sagte der Mann, und es klang, als zitterte er vor Angst oder Kälte. »Bestimmt sind sie auch schon bei Ihnen.«
    »Von wem sprechen Sie?«, fragte Ella.
    »Von unseren Freunden. Können Sie reden? Sind Sie allein?«
    »Ich bin allein.«
    »Ich bin auch allein«, sagte der Mann, und da wusste sie, wer er war. Sie sah ihn vor sich, wie er auf dem Bahnsteig die Toten durchsuchte und wie er ihr im Rettungswagen gegenübersaß und sie anstarrte, bevor er sich mit dem Skalpell an seiner Kehle zu schaffen hatte. »Sie sind da. Die wissen, wo wir wohnen. Unsere Freunde wissen, wer wir sind.«
    »Hier ist niemand«, sagte Ella.
    »Schauen Sie aus dem Fenster«, schrie er unvermittelt. Es war nackte Panik, die ihn ergriffen hatte, Paranoia, vielleicht gesteigert durch irgendeine synthetische Droge. »Sehen Sie sie nicht? Sie sind da!«
    »Warum haben Sie das Foto von mir gemacht«, fragte Ella, »gestern, mit Ihrem Handy?«
    »Ich musste es tun.«
    »Aber warum?«
    »Die sind gefährlich.«
    »Wer sind die? Welche ›Freunde‹ meinen Sie? Woher wissen Sie, wer ich bin? Und woher haben Sie meine Nummer?«
    »Das war leicht«, es klang, als könnte er nicht fassen, wie dumm sie war, »Telefonnummern sind kein Problem, Adressen auch nicht. Das Foto war für mich. Nur für mich.«
    »Und warum haben Sie dem Toten das Handy abgenommen, gestern auf dem Bahnsteig?«
    »Ich musste es tun.«
    »Aber warum?«
    »Ich musste es tun.«
    »Haben die es von Ihnen verlangt?«
    Er antwortete nicht. Sie konnte nur seinen schnellen, hechelnden Atem hören. »Kannten Sie den Mann?«, fragte Ella. »War er es, der die Bombe gezündet hat?«
    Wieder keine Antwort, nur sein Atem, viel schneller als normal. »Haben Sie aus dem Fenster geschaut?«, fragte er dann, mit erzwungener Ruhe. »Sind sie da?«
    »Ich habe kein Fenster zur Straße«, sagte sie, ebenfalls um einen ruhigen Tonfall bemüht. »Sagen Sie mir Ihren Namen, bitte. Sagen Sie mir, wo Sie wohnen.«
    »Sie sind in Gefahr«, sagte der Sanitäter. »Wir sind alle in Gefahr. Wir werden sterben.«
    »Meinen Sie Halil Abou-Khan?«, fragte sie. »Denken Sie, er hat die Männer geschickt?«
    »Ich muss es tun«, stieß er hervor. »Ich muss es tun. Es sind unsere Freunde.«
    »Sie müssen es also tun«, versuchte Ella auf ihn einzugehen. »Verstehe. Natürlich müssen Sie es tun.« Wenn ihre Fragen bei ihm schon keine Wirkung zeigten, musste sie eben auf andere Weise versuchen, ihn zum Reden zu bringen.
    »Sie wissen Bescheid, nicht?« Er hatte ganz offensichtlich den Kö der geschluckt. »Das habe ich sofort gesehen, auf dem Bahnsteig. Und im Rettungswagen. Ich dachte, ich müsste mit Ihnen reden, aber Sie wissen Bescheid.«
    »Ja, stimmt, ich weiß Bescheid.« Über was? Rede weiter – über was weiß ich Bescheid? »Ich dachte, Sie wüssten vielleicht nicht Bescheid. Deswegen habe ich Sie so angesehen.«
    Er schwieg. Er schwieg so lange, dass sie schon dachte, dass sie einen Fehler gemacht hätte. »Sind Sie noch da?«
    »Ja.«
    »Warum haben Sie versucht, sich umzubringen?«, hakte sie nach, vorsichtig. »Weil er es getan hat? War er auch allein?«
    Er sagte nichts, aber seine Atmung beschleunigte sich.
    »Oder hatte es mit dem Handy zu tun, das Sie in seiner Tasche gefunden haben? War etwas auf dem Handy?«
    Ella spürte, wie sich die Atmosphäre veränderte.
    »Du weißt gar nichts«, sagte der Sanitäter. »Ich dachte, du weißt es, aber ich habe mich getäuscht. Ich habe mich getäuscht!« Er begann wieder zu hyperventilieren. »Du Miststück! Du Schlampe!« Er schrie plötzlich, seine Stimme überschlug sich. »Du Stück Scheiße, du! Du bist die Nächste! Du wirst sterben und …«
    In diesem Moment schepperte der Briefschlitz in der Wohnungstür. Ella zuckte zusammen. Eine Sekunde lang hatte sie Angst, der Sanitäter wäre da, draußen auf dem Korridor. Er würde dicht vor der Tür stehen, halb zusammengekauert, und würde versuchen, durch den Briefschlitz in ihre Wohnung zu sehen. Hastig legte sie auf, als könnte sie ihn so dazu bringen, zu verschwinden. Stattdessen hörte sie, wie

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