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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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stirbt?«
    »Nein.« Ella wich nicht zurück vor seiner Nähe. »Und Sie können aufhören, mich einschüchtern zu wollen. Es ändert nichts an Shirins Zustand, und es ändert nichts daran, wie ich meine Arbeit tue. Was ich gestern Abend auf dem Bahnsteig gesehen habe, erzähle ich der Polizei, aber nicht Ihnen. Und vielleicht spiele ich denen bei dieser Gelegenheit auch das Band von meinem Anrufbeantworter vor, auf dem Sie mir, dem Klinikpersonal und den Polizeibeamten drohen.«
    Die Falten in Halils dunklem Gesicht wurden tiefer, und ein Fun keln trat in seine von winzigen geplatzten Äderchen geröteten Augen. Seine Mundwinkel zuckten. Die verschorften Lippen öffneten sich und ließen große, vom Tee bräunlich gefärbte Zähne sehen. Die grauen, wild wuchernden Brauen zogen sich bedrohlich zusammen. Tief in seiner Kehle entstand ein Keuchen oder Fauchen, das immer lauter wurde und, als es nach außen drang, seinen ganzen Oberkörper erschütterte, während ihm kleine Tränen über die wulstigen Wangen rannen.
    »Lachen Sie etwa?«, fragte Ella. »Finden Sie das zum Lachen?«
    Es war das Lachen eines Mannes, der nie daran gezweifelt hatte, dass alles auf der Welt nur dem einen Zweck diente, ihn zu erheitern oder sein Missfallen zu erregen. Alles war komisch oder nichts war komisch, ganz wie es ihm beliebte. So lachte jemand, dem es immer nur um sich ging, dem die Gefühle anderer Menschen fremd waren. Ob sie sich freuten oder litten, kümmerte ihn nicht, auch nicht, ob sie lebten oder starben oder welchen Anteil er an beidem hatte. Sie existierten einzig und allein, um über sie hinwegzugehen – wenn es sein musste, über ihre toten Körper.
    »Ihnen drohen?« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, hörte langsam auf zu lachen. »Das ist keine Drohung. Oder halten Sie auch die Wettervorhersage für eine Drohung?«
    »Und die Männer, die Sie auf mich angesetzt haben, können Sie abziehen«, sagte Ella. »So was jagt mir schon lange keine Angst mehr ein. Überlegen Sie sich lieber, warum Sie nicht wussten, dass Ihre Tochter tatsächlich einen Herzfehler hat.«
    Shirins Mutter rief etwas – fordernd, anklagend, es war eine Reihe zerhackter Rachenlaute ohne einen einzigen tiefen Ton, worauf Halil sie mit ein paar nicht weniger schroff zerhackten Worten in die Schranken wies. »Was für ein Herzfehler?«, fragte er dann verblüfft.
    Ella sagte: »Bei Shirins Einlieferung wurde festgestellt, dass sie einen Herzklappenanomalie hat, seit der Geburt. Vielleicht hat sie das geahnt. Vielleicht wäre ihr das alles erspart geblieben, wenn sich jemand mehr um sie gekümmert hätte. Wenn sie rechtzeitig operiert worden wäre.«
    Halils Gesicht lief rot an. »Was wollen Sie damit sagen, Ärztin?«, brüllte er. »Dass ich schlechter Vater bin? Dass meine Frau schlechte Mutter ist? Dass wir nicht …«
    Einer der beiden Männer vom Sicherheitsdienst, die neben dem Zugang zur Intensivstation Wache gehalten hatten, trat neben Ella. »Gibt es ein Problem?«
    »Nein«, sagte Ella. »Alles in Ordnung, danke.«
    »Was haben Sie?«, fuhr Halil den Mann an. »Wer sind Sie denn? Was wollen Sie von mir?«
    »Ich muss Sie bitten, leiser zu sein«, sagte der Security-Mitarbeiter ruhig. »Sie befinden sich in einem Krankenhaus. Wenn Sie sich nicht mäßigen, muss ich Sie auffordern, die Station zu verlassen.«
    Sofort näherte sich ihnen einer der älteren Söhne mit wiegenden Trainingshosen-Schritten, im Gesicht einen Ausdruck beleidigter Gereiztheit. Er fragte seinen Vater etwas, das wie ein Vorwurf klang, und erhielt eine Antwort im Ton höchster Empörung. Erregt wandte er sich an den Sicherheitsmann: »Was willst du von meinem Vater, du Pisser? Er ist der Präsident der Abou-Khans, und wer bist du? Er scheißt auf dich, du Pisser. Ich scheiß auf dich. Ich scheiß auf Deutschland. Wir sind Abou-Khan, ja? Wir haben Eier! Und wer bist du? Du bist Dreck unter meinem Schuh, verstehst du? Noch ein Wort, und du bist tot!«
    » Was war das?«, fragte der Mann von der Sicherheit.
    »Wahrscheinlich Tourette, Anfangsstadium«, sagte Ella. Sie stellte sich zwischen den Security-Mitarbeiter und den Jungen. »Und wer bist du?«
    »Ich bin Amal.« Stolz. Herausfordernd. »Amal Abou-Khan.«
    Der Security-Mann hielt plötzlich eine Dose Pfefferspray in der Hand, worauf der Junge einen Schlagring aus der Jackentasche zauberte, und das war der Moment, in dem es Ella reichte und sie rief: »Seid ihr noch bei Trost? Da drinnen ringt ein

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