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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gefleddert hat?«
    »Ja.«
    »Gut. Ich fahre sofort los. Wir treffen uns da.«
    »Ich wollte eigentlich nicht …«
    »Er hat nach Ihnen verlangt. Er dreht vielleicht durch, wenn jemand anderer auftaucht. Sind Sie gerade im Einsatz?«
    »Nein.«
    »Geben Sie ihr einen Wagen und was sonst noch üblich ist«, wies Hagen den Disponenten an. »Und machen Sie Tempo, der Mann ist ein wichtiger Zeuge, vielleicht gehört er zu den Drahtziehern des Anschlags. Wie heißt er überhaupt? Haben Sie seinen Namen?«
    »Kornack, hat er gesagt. Vielleicht ist es auch nur der Name auf dem Klingelschild. 4. Stock, oben links.«
    »Wir warten vor dem Haus, bis Sie da sind. Kommen Sie mit Tatütata und Blaulicht, dem ganzen Rummel, falls er am Fenster hängt und hinausschaut. Und machen Sie schnell – bevor was passiert!«
    Eine halbe Stunde später war sie immer noch nicht am Ziel. Sie raste über die Gneisenaustraße, mit Sirene und Blaulicht, und jemand, den sie nicht kannte, saß am Steuer. Der Verkehr wurde dichter, und kurz vorm Südstern gerieten sie in einen Stau, es ging nicht vor und nicht zurück, sie steckten fest.
    Ich habe ihm gesagt, ich komme so schnell wie möglich. Was ist, wenn er sich inzwischen umbringt? Oder wenn er jemand anderen umbringt?
    Ella starrte auf das unablässige Blinken roter und oranger Lichter auf der Straße vor ihr, Wagen, die dem Sprinter ausweichen wollten, aber nicht konnten, kreuz und quer verkantet wie ein riesiger kaputter Reißverschluss aus Autos. Weiter vorn schaltete die Ampel am Südstern hilflos von Rot auf Gelb und Grün. Der Reißverschluss bewegte sich ein Stück, dann verhakte er sich wieder; graue Abgaswolken stiegen zwischen den Fahrzeugen auf.
    »Soll ich die Leitzentrale informieren, dass sie einen anderen Wagen hinschicken?«, fragte der Rettungsassistent.
    »Noch nicht. Wie heißen Sie nochmal?«
    »Sascha.« Er lehnte sich zurück, ohne die Augen von der Straße zu lassen. »Wissen Sie, was ich gehört habe?«, sagte er. »Ich habe gehört, als Ihr Rettungsassistent lebt man gefährlich. Einer soll sogar getötet worden sein.«
    »Von wem haben Sie das gehört?«
    »Buschtrommeln.«
    Ella bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Es war nur einer«, sagte sie. »Es war Max, der ermordet wurde, und es war auch kein normaler Rettungseinsatz.«
    »Was war es dann?«
    »Ich möchte nicht darüber reden. Nicht jetzt.« Sie schwieg, hielt einen Moment den Atem an und hoffte, dass er den Mund halten würde, aber das tat er nicht.
    »Wie lange machen Sie das schon?«, fragte er.
    »Lange genug.«
    »Können wir uns duzen?«
    »Meinetwegen.«
    »Tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein«, sagte er und schaltete die Sirene aus, ließ nur das Blaulicht an. »Ich bin ja noch nicht so lange dabei. Aber du hast so viel erlebt …«
    »Ich kann dir den Vortrag halten«, sagte Ella, obwohl sie nicht die geringste Lust dazu hatte.
    »Was für ein Vortrag?«
    »Du bist nicht der Erste, der mir diese Frage stellt. Ich hab das schon so oft erzählt, dass ich inzwischen die heftigsten Fälle und alles, was einem sonst noch so an Interessantem in diesem Job widerfahren kann, zu einem Potpourri zusammengefasst habe, so eine Art Best of Ella. Das ist der Vortrag. Wenn du willst, kannst du den jetzt hören, bis es weitergeht.«
    Sascha nickte. »Ja, okay, klar.«
    »Fangen wir in Neukölln an«, sagte Ella, »weil wir da gerade hinfahren. Da bin ich vor zwei Jahren mal im Rollberg-Kiez angespuckt und von so ’nem verrückten türkischen Kickboxer bedroht worden, als ich seine schwangere Schwester in die nächste Klinik bringen musste, weil ihre Fruchtblase geplatzt war und die Familie sie zu Hause gebären lassen wollte. In Wedding haben Araber-Clans unseren Wagen mit Steinen beworfen, und in Marzahn haben sie uns die Reifen zerstochen. Bei einer Demo auf dem Ku’damm ist vor meinen Augen ein Mädchen von Sonderbullen in voller Montur mit Schlagstöcken dermaßen zusammengeknüppelt worden, dass ich die Schädeldecke platzen hören konnte wie einen Kürbis, den man gegen eine Wand schmeißt. Drei Wochen später stand ich praktisch daneben, als ein Trupp vermummter Autonomer Pflastersteine und Brandsätze auf Polizisten geschleudert hat, und ich habe Decken über die brennenden Männer geworfen. Ich bin umgerannt, umgestoßen und einmal beinahe umgefahren worden. Ich habe Drogentote gesehen, die mit einer schmutzigen Spritze im Arm tot in ihrer eigenen Kotze lagen. Ich habe Selbstmörder gesehen,

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