Nukleus
Bombe.« Ein leises Schmatzen verriet, dass der Kommissar auch beim Telefonieren nicht auf sein Mecca Gum verzichten konnte. »Wir wissen jetzt, wer er ist, oder besser: war. Sein Name lautete Sebastian Oskar Scharnhorst, achtundvierzig, gemeldet in Rudow, Berlin, unverheiratet, keine Kinder. Er war katholischer Priester, ist aber vor einiger Zeit aus der Kirche ausgetreten. Ein ehemaliger Offizierskollege hat ihn auf einem Foto erkannt, das wir gestern Nacht auf Facebook gepostet haben. Bevor er seinem Glauben abgeschworen hat, ist Scharnhorst in Afgha nistan als Militärseelsorger im Einsatz gewesen. Da ist er irgendwann durch sein seltsames Verhalten auffällig geworden. Unter anderem hat er behauptet, vom Teufel besessen zu sein, was ja eine Erklärung dafür wäre, warum er seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Der Leutnant sagte, aufgeführt hätte er sich jedenfalls wie ein Besessener. Zuerst dachten seine Kameraden und Vorgesetzten, er leide an PTS – dem Posttraumatischen Stresssyndrom. Aber er ließ sich nicht von seiner fixen Idee abbringen. Der Offizier meinte, das sei vermutlich auch der Grund für seine Tat gewesen. Er hätte sich in die Luft gesprengt, um den Teufel zu zerstören, der in ihn gefahren war. Irgendwie irre, finden Sie nicht?«
»Hat der Offizier noch mehr gesagt?«, wollte Ella wissen. »Was den Verdacht, der Seelsorger könnte vom Teufel besessen sein, angeht? Wie hat sich diese Besessenheit gezeigt?«
»Wir haben ihn noch nicht genauer befragt«, sagte Abdallah. »Er ist erst vor Kurzem nach Deutschland zurückgekehrt und wohnt nicht in Berlin. Aber immerhin hilft uns das bei der Antwort auf die Frage, woher Scharnhorst den Sprengstoff gekriegt haben könnte.«
»Haben Sie seine Krankengeschichte überprüft?«
»Nein. Warum?«
»Es könnte sein, dass er an Epilepsie litt. Da treten manchmal Symptome auf, die früher oft für Anzeichen von Besessenheit gehalten wurden.«
»Rufen Epileptiker auch ›eli, eli, lama asabtani‹, bevor sie sich in die Luft sprengen?«
»Eli, eli …?«
»›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‹ auf Hebräisch«, erklärte Abdallah. »Das hat der Selbstmörder gerufen, als er den Sprengstoff gezündet hat. Einer der Überlebenden, einer Nonne, ist das jetzt wieder eingefallen.«
»Was bedeutet das?«
»Das waren die letzten Worte Jesu Christi am Kreuz. Das meinte jedenfalls die Nonne.«
»Wissen Sie, ob Scharnhorst selbst auch bei Facebook war?«
»Nein.«
»Oder bei einem anderen sozialen Netzwerk? LifeBook vielleicht?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Kornack war bei LifeBook, aber sein Profil ist gelöscht. Und ich bin sicher, wo immer dieser abtrünnige Priester war, sein Profil ist auch gelöscht.« Ella erzählte dem Kommissar, was sie entdeckt hatte, ließ aber Annika aus dem Spiel. »Wenn wir herausfinden könnten, was in Kornacks Profil stand, wüssten wir vielleicht mehr über seine Motive und die des Attentäters.«
»Das klingt in meinen Ohren sehr nach Verschwörungstheorie«, wandte Abdallah ein. »Vielleicht war alles auch viel einfacher. Nach dem zu urteilen, was wir in Kornacks Wohnung gefunden haben, war er ein Junkie erster Güte, vielleicht hat er sogar gedealt. Als Sanitäter kam er an das Zeug vermutlich leicht ran, auch in größeren Mengen. Und so, wie die Zeugen Scharnhorst kurz vor der Tat geschildert haben, könnte es sich bei seinem Zittern genauso gut um Entzugserscheinungen gehandelt haben. Ihre Epilepsie-Theorie in allen Ehren, aber das erklärt noch nicht den Sprengstoffgürtel. Gesetzt den Fall, unser traumatisierter Militärseelsorger sucht irgendwann den Trost, den er bei Gott nicht mehr findet, in Drogen, dann wäre es nicht ganz abwegig, dass Kornack sein Dealer war. Sie kannten sich möglicherweise aus Afghanistan, vielleicht war der Sanitäter auch dort, in Scharnhorsts Kompanie. Wir überprüfen das noch. Da hätten Sie dann Ihre Verbindung. Der abgefallene Priester hat Kornack angerufen, weil er Nachschub brauchte, aber der hat sich geweigert oder ihn vertröstet, bis die nächste Tranche fertig war, was auch immer. Worauf Scharnhorst sagt, ich brauche sofort was, sonst sprenge ich mich in die Luft, denn das gibt ihm der Teufel ein oder seine sonstwie aus dem Leim gegangene Seele. Und als der Sanitäter aus der Notrufzentrale erfährt, was passiert ist, vielleicht sogar auf dem Weg zu ihm, taucht er am Hermannplatz auf und entwendet das Handy des Toten, weil da drin seine Nummer
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