Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Silbe lag mehr Verachtung, als eine wortreiche Erklärung zum Ausdruck gebracht hätte.
»Sie mögen Luigi nicht?«, fragte James.
Sheila hielt die Beantwortung dieser Frage nicht einer einzigen Silbe für würdig. Sie kann, dachte James mit einer Mischung aus Erschrecken und Bewunderung, ziemlich hart sein.
»Und warum nicht?«
Wieder keine Antwort.
»Ist die Sprechzeit für heute beendet?«
Sie verdrehte die Augen. »Himmel, James, Sie können einem auf die Nerven gehen. Ich mag ihn nicht, fertig. Man muss nicht alles und jeden mögen, oder? Sie fragen doch auch nicht, warum ich keinen Whisky mag. Oder eingeschlafene Füße. Oder Weichkäse.«
»Doch«, warf James ein. »Das mit dem Whisky hat mich immer schon beschäftigt.«
»Ja, das denke ich mir.« Sheila musste lachen. »Sagen Sie nicht, James, dass bei Ihnen keiner durchs Raster fällt.«
»Welches Raster?«
Sie musterte ihn, für einen Moment nicht sicher, ob er das ernst gemeint hatte, dann lachte sie. »Heuchler.«
»Nein, im Ernst«, sagte er, »bei mir gibt es kein Raster, durch das jemand fallen könnte.«
Sie waren an den Aufzügen angekommen, und Sheila drückte den Knopf. »Oh, der heilige James. Und was ist mit den Menschen, die Sie getötet haben? Die sind doch gewissermaßen durchs Raster gefallen, oder nicht?«
Der Aufzug kam, sie traten ein. »Woher wollen Sie das wissen?«, fragte er, als sich die Türen geschlossen hatten. Sie waren allein im Aufzug.
»Na ja, laut Ihrer Akte hat es doch Tote ...«
»Meiner Akte?«, unterbrach er sie scharf und drückte auf die Stopp-Taste. Der Aufzug kam mit einem Ruck zum Stehen. »Meines Wissens gehörten Sie nicht zu dem Personenkreis, der Zugang zu meiner Akte hatte, nicht wahr?«
Sie schwieg und sah zur Leuchtanzeige des Aufzugs. Er fluchte. »Typisch SIS. Sie sollten das erste S aus dem Namen streichen.«
»Und die Toten?«, fragte Sheila.
»Haben sich so ergeben«, sagte James.
Sheila sah ihn an und wartete.
»Also gut«, sagte er schließlich, »Sie geben ja doch keine Ruhe. Aber viel genauer als das, was ich jetzt sage, geht es nicht. Es waren drei. Sie waren nicht beabsichtigt, und ich bin auch nicht stolz darauf. Aber ich weine auch nicht nachts in die Kissen aus Trauer darüber, dass sie tot sind. Beim einen war es eine Verkettung unglücklicher Umstände, ein Fall von ›er oder ich‹ bei dem zweiten. Und beim letzten war es die einzige Möglichkeit, die ich sah, um dasLeben eines Unschuldigen zu retten.« Er ließ den Aufzug weiterfahren. »Genau genug?«
Sie nickte. Als sie wenig später vor ihren Kabinen angekommen waren, kramte Sheila umständlich nach ihrer Schlüsselkarte. »Ich habe übrigens noch ein Glas Kaviar in der Minibar, das wird schlecht, wenn es nicht heute gegessen wird.«
Er musste lächeln. Diese Art von Friedensangebot war typisch für Sheila. »Gute Idee. Gleich auf dem Balkon?«
Kapitel 17
Der Fahrtwind spielte mit ihren rotbraunen Locken, während Sheila die letzten Reste Kaviar aus dem Glas löffelte. »Köstlich. Ich liebe dieses Gefühl, wenn sie zwischen Zunge und Gaumen zerplatzen.« James nickte und bemühte sich, nicht immerzu auf das kleine, durchsichtig-rote Fischei zu starren, das unbemerkt von Sheila auf der Knopfleiste ihrer Bluse gelandet war und dort wie ein zusätzlicher Miniaturperlenknopf wirkte. Sein Magen knurrte. Seit dem Frühstück hatte er, abgesehen von dem Whisky am Pool, nichts mehr zu sich genommen. James erhob sich, ging zur Minibar in seiner Kabine und kam mit zwei Schokoriegeln und einer Packung Erdnüsse wieder auf den Balkon. Einen der Schokoriegel reichte er Sheila. »Dessert?«
»Schokolade nach Kaviar, James, wie können Sie nur!«
Er öffnete den Riegel und biss hinein. »Tut mir leid, aber mein Magen lässt zwei Löffel Kaviar nicht als richtige Mahlzeit gelten.«
»Hätten Sie doch etwas gesagt, ich habe ja fast alles alleine gegessen!«, rief sie schuldbewusst aus.
Er sah auf die Uhr. »In zehn Minuten legt Luigi los. Wir sollten langsam aufbrechen.«
Sheila nickte widerstrebend. »Ich bringe nur rasch meine Haare in Ordnung.«
»Wo tritt er eigentlich auf? Captain’s Corner?«, fragte James.
»Nein, im Stardust Theatre«, rief Sheila über die Schulter. »Schon allein wegen der Lichttechnik dort. Er liebt Scheinwerfer.« Sie verschwand im Bad.
»Was hat Ihnen dieser Mensch eigentlich getan, dass Sie kein gutes Haar an ihm lassen?«, rief James.
Er hatte keine Antwort erwartet, und es kam auch keine.
Weitere Kostenlose Bücher