Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Sheila nachdenklich, »dass sie auf dem Schiff jemanden kennengelernt hat, mit dem sie – nun ja, die Nacht verbracht hat. Warum wird sie nicht über Bordlautsprecher ausgerufen?«
»Jeremy wollte das nicht, damit Phyllis nicht merkt, dass Miss Kappel nun ebenfalls verschwunden ist.«
»Aber wir könnten sie doch einfach auf ihrem Handy anrufen.«
James zog die Augenbrauen hoch. »Halten Sie Jeremy und mich eigentlich für völlig unbedarft? Das haben wir natürlich getan. Mailbox. Jeremy und Mr Chandan haben außerdem in allen öffentlich zugänglichen Räumen nach ihr gesucht.«
»Trotzdem«, beharrte Sheila. »Dass sie nicht ans Telefon geht, heißt noch lange nicht, dass wir es mit einem verrückten Serienmörder zu tun haben, der es darauf abgesehen hat, uns alle über Bord zu kegeln. Wo bleibt Ihr Sinn für Realität, James?«
»Der ist an seinem Platz, direkt neben meinem Sinn für Gefahr. Ab sofort werde ich Sie nicht mehr aus den Augen lassen, Sheila. Ich will nicht, dass Sie die Nächste sind.«
Sheila sah ihn lange an. Sie war zu höflich, um es auszusprechen, aber die Botschaft kam trotzdem bei ihm an: Denken Sie wirklich, Sie könnten mich beschützen? Er hatte sich zwar von dem Infekt, der ihn im letzten Winter beinahe umgebracht hatte, weitgehend erholt, doch seine Konstitution war bei Weitem noch nicht wiederhergestellt. Für den Alltag reichte es wieder, er kam allein zurecht und brauchte auch keinen Rollator mehr, aber einem körperlich ausgetragenen Kampf würde er nicht gewachsen sein.
»Um jemanden zu beschützen, muss man nun wirklich kein Meister im Kickboxen sein«, sagte James, während er unauffällig nach Sheilas Handtasche angelte, die sie unter dem Tisch abgestellt hatte. »Das muss ich Ihnen nicht erklären.«
Sheila betrachtete ihren Teller und schien zu überlegen, welches der beiden Petits Fours sie zuerst essen sollte: das mit dem grünen oder dem roten Zuckerguss. Es gab nichts, was Sheila den Appetit verderben konnte. James nutzte diesen Augenblick der Abgelenktheit aus, um einen kleinen Peilsender in den Tiefen ihrer Handtasche zu versenken. Sicher war sicher.
»Nehmen Sie das rote zuerst«, sagte er.
»Schaden würde es aber auch nicht, oder?«, fragte Sheila, bevor sie sich das grüne Petit Four in den Mund steckte.
»Was?«
»Meister im Kickboxen zu sein«, sagte sie leicht undeutlich. James tippte mit dem linken Zeigefinger an seine rechte Faust. »Es gibt Wichtigeres als das.«
Sheila schluckte. »Ja, ja, ich weiß schon, ein überlegener Intellekt ersetzt die Fäuste.«
»Nein, das meinte ich nicht.« James beugte sich nach vorn und lüftete diskret sein Jackett, sodass das Achselholster sichtbar wurde. Ihre Augen weiteten sich. »Sie haben also doch eine Waffe dabei«, flüsterte sie aufgeregt. »Wusste ich’s doch. Deswegen tragen Sie also bei dieser Hitze ständig ein Jackett. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, sie durch die Sicherheitskontrollen zu bekommen? Und überhaupt, warum? Ist das noch Ihre alte?«
»Das ist doch jetzt unerheblich«, sagte James. »Jedenfalls bin ich als Bodyguard weitaus besser ausgerüstet, als Sie denken.«
»Ist ja gut, James, aber der Punkt ist, dass ich an diese Serien-Geschichte nicht glaube!« Sheila beugte sich nun auch nach vorn. Ihre Augen glänzten. »Also, wenn Judy Kappel wirklich verschwunden bleibt, wissen Sie, was ichdann glaube?« Sie machte eine Kunstpause, die er ruhig abwartete. »Judy Kappel und Eden Philpotts stecken unter einer Decke! Meine Mutter erzählte mir, dass Judy Kappel seit etwa einem Jahr für sie arbeitet. Es könnte doch sein, dass Miss Kappel und Eden zu der Zeit schon ein Paar waren. Und dass die beiden auf die Idee kamen, meine Mutter gemeinsam auszunehmen wie eine Weihnachtsgans.«
James musste grinsen. »Was ist daran so lustig?«, fragte Sheila verständnislos.
»Nichts«, versicherte er eilig. Sie sah ihn weiter an, unerbittlich auf eine Erklärung wartend. »Es war nur der Vergleich«, sagte er schließlich. »Weihnachtsgans.«
Sheila verdrehte die Augen. »Sie wissen doch, was ich meine. Im übertragenen Sinn natürlich.« Sie legte den Kopf schief. »Jetzt habe ich den Faden verloren. Helfen Sie mir, James.«
Er kannte das. Auf keinen Fall durfte er jetzt wie auf Knopfdruck das wiederholen, was sie zuletzt gesagt hatte. Stattdessen gab er ihr ein paar Sekunden Zeit, in denen er so tat, als würde er selbst angestrengt nachdenken, dann begann er: »Nun, Sie sagten
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