Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
trank einen großen Schluck. »Sie können einem wirklich Angst einjagen, James.« Das Eis im Glas klirrte, als sie es heftig wieder abstellte. Er legte ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm. »Entschuldigen Sie bitte. Das war nicht meine Absicht.«
Sie sah ihn unverwandt an. »Und wer, denken Sie, James, wäre dann der Nächste von uns zehn kleinen Negerlein? Sie? Oder ich? Oder wir beide?«
Er lächelte. »Gute Idee. Wie wäre es, wenn wir freiwillig als Nächste verschwinden? Lassen Sie uns einfach morgen von Bord gehen. Wir machen noch ein paar Tage Urlaub auf Malta und fliegen dann nach London zurück.«
Sheila sah ihn ungläubig an. »Sie wollen sich einfach feige aus dem Staub machen?«
»Provozieren Sie mich ruhig, wenn es Ihnen guttut.«
»Und meine Mutter?«
»Die nehmen wir mit.«
»Unmöglich! Morgen ist ihr neunzigster Geburtstag!«Sheila war laut geworden, einige Leute an Nachbartischen sahen zu ihnen herüber. Sie senkte ihre Stimme und sah ihn wütend an. »Das kann ich ihr nicht antun. Auf diese Feier freut sie sich seit Wochen wie ein Kind. Aber ich hätte es mir denken können, James. Sie haben nicht den geringsten Familiensinn. Woher auch.«
James unterdrückte den Impuls, eine Bemerkung über den Familiensinn von Frauen zu machen, die Eheringe wie Trophäen sammeln. Er zog sein Handy.
»Was machen Sie da?«, fragte Sheila. Er konzentrierte sich auf das Display, während Sheila ihn anstarrte und auf eine Antwort wartete. »Was tun Sie da?«, wiederholte sie.
»Ich schaue, wann wir einen Flug bekommen. Den Geburtstag warten wir auf jeden Fall noch ab, dann fliegen wir.«
»Ach, dann fliegen wir«, sagte Sheila gedehnt. »So einfach ist das also.«
James legte sein Handy auf den Tisch und sah ihr in die Augen. »Sheila, was machen Sie, wenn Ihnen auf der Straße ein Mann mit einem Dobermann an der Leine entgegenkommt, der schon von Weitem die Zähne fletscht? Sie wechseln die Straßenseite, oder? Was machen Sie, wenn es eine Unwetterwarnung gibt? Sie gehen ins Haus und schließen die Fenster, oder? Ich mache mir keine Sorgen um mich selbst, ich mache mir Sorgen um Sie. Weil ich glaube, dass hier an Bord noch mehr passieren wird.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Intuition.«
Sheila lachte auf. »Aha, wieder Ihre Intuition. Dann ist ja alles klar. Ach James, immer, wenn Sie etwas nicht begründen können, kommen Sie mir mit Ihrem Gefühl.«
»Ich sagte Intuition, nicht Gefühl«, stellte er richtig.
»Jedenfalls irrational.«
»Das mag Ihre Auffassung von Intuition sein«, widersprach er. »Was ich damit meine, ist etwas anderes. Meine Intuition ist nicht irgendein Gefühl, sondern ein wichtiges Instrument der Selbsterhaltung, das sich aus aktuellen Daten und Beobachtungen und einer Berufserfahrung von mehr als vierzig Jahren beim SIS speist.«
Sheila sah nach oben, wo einige Möwen über ihren Köpfen schwebten, die Blicke hungrig auf das rote Petit Four gerichtet.
»Nehmen wir ein anderes Beispiel«, fuhr James fort. »Sie gehen mit Jamie an der Hand auf eine Tankstelle zu. Sie sehen, wie sich jemand eine Zigarette ansteckt. Was tun Sie? Genau. Sie rennen weg, weil Ihnen Ihre Intuition sagt, dass es wahrscheinlich gleich eine heftige Explosion geben wird. Und Sie packen sich das Kind. Das hat nämlich noch nicht genug Lebenserfahrung, um aus dem, was es sieht, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Gefahr zu erkennen.«
Sheila verzog das Gesicht. »Es wird immer besser. Jetzt bin ich also Ihr Jamie, was?«
James zog die Augenbrauen hoch. »Schön wär’s. Der würde nämlich nicht so lange darüber diskutieren, was das Beste für ihn ist. Den könnte ich mir einfach unter den Arm klemmen.«
Sie starrten sich wütend an. Schließlich sah Sheila auf ihre Armbanduhr. »Zeit, nach unten zu gehen. Ich will mich vor dem Konzert noch umziehen.« Sie schnappte sich das rote Petit Four, steckte es sich in den Mund und erhob sich, während die Möwen über ihren Köpfen enttäuscht abdrehten.
James folgte ihr auf dem Fuß. »Wieso Konzert?«
Sheila drehte sich erstaunt um. »Heute um 15.30 Uhr singt doch Luigi, hatten Sie das vergessen? Sein erster großer Auftritt.«
»Was singt er denn?«
Sheila zuckte die Schultern, während sie in Richtung der Aufzüge gingen. »Wahrscheinlich wie immer. Verdi, Puccini, lauter Arien, bei denen kein Auge trocken bleibt. Meine Mutter liebt das.«
»Sie wohl nicht«, bemerkte James.
»Nein.« In dieser emotionslos hervorgepressten
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