Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
bitte?«, fragte James aufgeregt. »Sie haben es nicht gewusst?«
»Nein. Er hat uns eine Postkarte aus Dover geschickt. Wir haben uns gefreut, dass er wieder etwas unternahm. Nach dem Tod unserer Mutter war er nicht mehr er selbst. Nicht einmal sein Klavier hat er mehr angerührt.«
»Stella, grüßen Sie Ihre Familie von mir.«
»Aber was ist denn los?«, fragte Stella.
»Momentan kann ich Ihnen noch nicht mehr sagen. Ich melde mich wieder!«
James legte auf. Was hatte William nach Eaglehurst geführt? Und warum hatte er seine Familie belogen? Er nahm die Ansichtskarte, die William ihm kurz vor seinem Tod geschickthatte, aus seiner Jackettasche und las wohl zum hundertsten Mal den Limerick:
There was a young lady from Riga
Who smiled as she rode on a tiger
They returned from the ride
With the lady inside
And the smile on the face of the tiger.
Kapitel 5
James traute seinen Augen nicht, als er am Arm von Mrs White zum Tee geführt wurde. Rupert Ruthersford stand vor dem Eingang zum Salon und unterhielt sich prächtig mit der Köchin.
Rupert bemerkte ihn sofort. »James! Ich habe dich schon gesucht!«, rief er lauter aus als nötig. Er begrüßte Mrs White und erklärte den Frauen: »Mr Gerald ist gewissermaßen ein alter Kollege von mir. Er hat allerdings bei einer anderen Behörde gearbeitet, im Außendienst.«
»Oh, Sie waren Verkehrspolizist?«, fragte Mrs Simmons interessiert.
»Nein«, sagte Rupert aufgeräumt, »James war einer von den ganz tollen Jungs damals. Er flüsterte der Köchin etwas ins Ohr. Mrs Simmons war beeindruckt. »Nein, wirklich?«
James fluchte leise. Dieser Kerl war in der Zwischenzeit noch dümmer geworden.
»Kann ich dich unter vier Augen sprechen?«, fragte er ungehalten.
»Natürlich«, gab Rupert zurück und zwinkerte Mrs Simmons verschwörerisch zu. »Sie verstehen!«
»Natürlich«, sagte Mrs Simmons wie jemand, der mit einer spektakulären Neuigkeit zum Weitererzählen beschenkt worden ist.
»Gehen wir in mein Zimmer«, sagte James.
»Danke, ich übernehme das schon«, sagte Rupert zu MrsWhite und hakte James unter. Gemeinsam steuerten sie auf den Aufzug zu.
»Ich würde lieber die Treppe nehmen«, sagte Rupert fröhlich. »Wenn es geht, vermeide ich Aufzüge, das hält fit. Welches Stockwerk?«
»Zweites.«
»Gut, ich hole dich ab!«
Im ersten Stockwerk hielt der Aufzug, die Tür öffnete sich, aber niemand stieg ein. Wahrscheinlich, dachte James grimmig, war sich Rupert nicht zu schade gewesen, unterwegs den Knopf zu drücken, um Zeit zu gewinnen.
Als der Aufzug im zweiten Stock angekommen war, stand Rupert mit verschränkten Armen und gelangweiltem Gesicht vor der Tür wie jemand, der schon eine Ewigkeit auf den Bus wartet und die Hoffnung fast aufgegeben hat.
»Warum trompetest du hier herum, was ich früher gemacht habe?«, fragte James, nachdem sie die Tür seines Apartments hinter sich geschlossen hatten. Wie immer, wenn er sehr wütend war, war seine Stimme ganz leise. »Dank deiner überflüssigen Plauderei mit Mrs Simmons ist meine Tarnung jetzt dahin.«
Rupert lachte amüsiert auf. »Tarnung? Als was denn? James, du bist nicht mehr beim SIS. Du bist jetzt ein harmloser Rentner, genau wie alle anderen hier.«
»Also hat die Obduktion keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod ergeben?«, fragte James.
Rupert nahm auf James’ Sessel Platz, griff nach dem elektrischen Schalter in der Seitenhalterung und ließ den Sessel in Liegeposition gleiten.
»Gemütlich hast du’s hier. Schöne Aussicht aufs Meer. Das Essen ist ausgezeichnet, oder nicht? Jedenfalls ist die Köchin eine ganz patente Frau, finde ich.«
»Was hat die Untersuchung ergeben?«, wiederholte James.
»Darf ich?« Rupert deutete auf James’ Zigarren. Im nächsten Augenblick blies er genüsslich den Rauch in die Luft.
»Maddison hatte eine erhöhte Dosis Digitalis im Blut. Ich habe mit Mrs White, der Chefin hier, gesprochen und auch mit diesem Dr. Goat telefoniert. Mr Maddison war nicht nur herzkrank, er litt auch unter beginnender Demenz.« Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Vergesslichkeit, wohl auch zuweilen Wahnvorstellungen.«
»Und?«, fragte James.
»Wahrscheinlich hat er einfach zu viele Pillen geschluckt oder etwas verwechselt«, entgegnete Rupert trocken. »Unser Gerichtsmediziner meint, dass zwanzig Prozent aller plötzlichen Todesfälle bei über Siebzigjährigen auf falsche Medikamenteneinnahme zurückzuführen sind. Die Dunkelziffer
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