Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
James.
»Besser.«
Er ist genauso einsilbig wie Katie, dachte James.
»Soll ich Ihnen den Aufzug holen?« Ohne die Antwort abzuwarten, drückte Mr Hope auf den Aufzugknopf.
»Ja, bitte.«
»Ich wünsche Ihnen eine gute Nachtruhe.«
»Danke, Mr Hope.«
James hatte vor, in dieser Nacht endlich Williams Flügel näher in Augenschein zu nehmen. Aber er musste noch etwas warten. Nach Mitternacht würde Mr Hope hoffentlich zu Bett gegangen sein. Als sich der Aufzug im zweiten Stockwerk öffnete, stand Miss Hunt vor der Tür und nahm ihn in Empfang. Sie lächelte, ihre Nagetierzähne leuchteten im Halbdunkel unnatürlich weiß.
»Mr Gerald! Kommen Sie, ich führe Sie in Ihr Zimmer.«
»Oh, machen Sie sich keine Umstände, Miss Hunt«, sagte James, »ich bin wieder recht selbstständig dank meines neuen Gefährts hier.«
»Aber das mache ich doch gern!« Miss Hunt legte eine Hand auf den Rollator und begleitete ihn zu seinem Apartment. Er kam sich vor wie ein Kind im Supermarkt, das den Einkaufswagen schieben darf, während die Mutter eine Hand vorn an das Gitter legt, um Tempo und Richtung zu kontrollieren.
»Ist es nicht schrecklich, was der armen Katie heute Nacht passiert ist?«, fragte Miss Hunt aufgeregt. »Ich kann es gar nicht glauben. Sagen Sie, wer macht denn nur so etwas?«
»Haben Sie denn nichts mitbekommen?«, fragte James. »Sie waren doch auf demselben Flur, nicht wahr?«
Miss Hunt schüttelte heftig den Kopf. »Nein, leider gar nichts. Ich war fast den ganzen Abend bei Mrs Summers. Ihr geht es nicht gut, und sie hat pausenlos nach mir geklingelt. Sie ist immer weinerlich, auch wenn sie gesund ist, aber heute Abend ist es besonders schlimm. Dieser Magen-Darm-Virus hat sie erwischt, zum Erbrechen kam auch noch Durchfall, und sie jammert die ganze Zeit, stöhnt und schimpft. Sie können sich nicht vorstellen, wie diese Frau einen in Anspruch nimmt. Und jetzt, wo Katie ausfällt, soll ich heute Nacht auch noch ihre Seite des Flurs mit übernehmen. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
»Meinen Sie, da hat sich eine der Kolleginnen einen dummen Scherz erlaubt?«
Miss Hunt blieb stehen und sah James empört an. »Nein! Was glauben Sie!«
Sie waren vor James’ Apartment angekommen. »Warten Sie«, sagte Miss Hunt. Sie zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Tür.
Miss Hunt knipste das Licht in James’ Apartment an und ließ ihn eintreten. Unschlüssig blieb sie einen Moment in der Tür stehen, dann kam sie herein, zog die Tür hinter sich zu und sagte mit gedämpfter Stimme: »Mr Gerald, wenn Sie mich fragen, war das eine von den beiden Schwestern. Die hat was gegen Katie, das merkt doch jeder. Mrs Edith Hideous passt es überhaupt nicht, wie Katie sich stylt, die schwarzen Klamotten und die Piercings und so, und jeden Tag kommt eine Bemerkung wie: ›Schätzchen, mit dem ganzen Metall in Ihrem Gesicht sehen Sie furchtbar unappetitlich aus. Damit kriegen Sie nie einen Mann!‹«
»Schätzchen?«
»Sie sagt immer Schätzchen zu ihr, und sie weiß genau, dass Katie das nicht ausstehen kann.«
»Wehrt Katie sich dagegen?«, fragte James interessiert.
»Na ja, sie ärgert Edith auf ihre Weise. Zum Beispiel hat sie einmal beim Essen Ediths Brille unauffällig weggeschoben und stattdessen einen Löffel an die Stelle gelegt.« Miss Hunt kicherte. »Mrs Edith Hideous ist ohne Brille blind wie ein Maulwurf und hat nach dem glänzenden Löffel gegriffen im Glauben, das sei ihre Brille. Das war sehr komisch.«
»Das hört sich eher nach harmlosen Streichen an, nicht wahr?«
»Mrs Hideous hat gekocht vor Wut.«
»Sie glauben also, dass Edith so wütend auf Katie war, dass sie ihr aus Rache mal eben von hinten eins über den Schädel gab?«
Miss Hunt zuckte mit den Schultern. »Mrs Hideous ist mir manchmal unheimlich, ehrlich. Die Art, wie sie einen mit ihren Glupschaugen durch ihre dicke Brille anstarrt. Wie eine Hornisse. Aber ich will nichts gesagt haben. Gute Nacht, Mr Gerald, schlafen Sie gut!«
»Gute Nacht, Miss Hunt.«
Als sie gegangen war, zog James sein Handy heraus und wählte Stellas Nummer. Er ließ es lange klingeln, bis sich die verschlafene Stimme ihres Mannes meldete. »Ja?«
»Hier ist James Gerald, entschuldigen Sie vielmals die Störung, aber könnte ich bitte kurz mit Ihrer Frau sprechen? Es geht um ihren Vater. Es ist wichtig.«
»Moment.« James hörte, wie die Sprechmuschel mit der Hand abgedeckt wurde, es folgte gedämpftes Gemurmel, dann war Stella am
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