Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
auszuführen.«
»Das wäre möglich«, sagte James nachdenklich. »Aber warum hat sie es dann überhaupt versucht? Das hätte der Angreiferin doch auch vorher schon klar sein müssen, nicht wahr? Das wäre doch umso mehr ein Grund gewesen, beim Vergiften zu bleiben. Nein, ich denke, dass es sich bei demjenigen, der Katie niedergeschlagen hat, nicht um unseren Mörder handelt. Rohe Gewalt, dazu schlampig ausgeführt, ist etwas für intellektuell Minderbemittelte. Ich gehe aber davon aus, dass unser Mörder intelligent ist.«
»Weil er heimtückisch Menschen vergiftet?«, fragte Sheila naserümpfend.
»Nein«, lächelte James bitter, »weil er es geschafft hat, William zu ermorden. Wissen Sie noch, wie man ihn beim SIS nannte?«
»›The Genius.‹«
»Genau. Es war fast unmöglich, William auszutricksen, und deshalb finde ich es seltsam, dass ausgerechnet er einem Mord zum Opfer fiel.«
»Oder William war völlig ahnungslos.« »Er muss eine Ahnung gehabt haben. Und vielleicht kannte er seinen Mörder auch schon genau. Denken Sie an seine Karte mit dem Limerick:
There was a young girl from Riga, who smiled as she rode on a tiger. They came back from the ride, with the lady inside and the smile on the face of the tiger
.«
Sheila runzelte die Stirn. »Ein gruseliger Limerick. Den habe ich schon als Kind nicht gemocht.« James nickte. »Ja, aber überlegen wir einmal, was er bedeutet: Es gibt eine Gefahr. Sie geht vom Tiger aus. Das Mädchen weiß nichts davon und reitet ahnungslos lächelnd auf dem Tiger. Als sie zurückkommen, ist es jedoch der Tiger, der lächelt. Er hat das Mädchen gefressen.«
Sheila nickte. »Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.«
»Ja«, sagte James nachdenklich, »es gab Zeiten, in denen hat William die Gefahr geliebt … Wie konnte ich nur so blind sein! Dieser verdammte Limerick gehörte mit zum Spiel!« Aufgeregt kramte James in seiner Jacketttasche und zog den abgegriffenen Zettel heraus. »Wer ist die Katze, wer ist die Maus, gib acht auf die Falle und find es heraus! Das ist genau dasselbe! Katz und Maus. Sie haben Katz und Maus gespielt. Williams Limerick war für den Mörder bestimmt! Es war eine Drohung, und William sah sich selbst dabei natürlich als Tiger und nicht als das junge Mädchen!«
»Ja«, stellte Sheila fest. »Leider war es dann aber dochandersherum.« Sie zupfte nachdenklich an ihrer Bettdecke. »Apropos junges Mädchen: Nehmen wir an, der Anschlag galt wirklich nicht Ihnen, James, sondern Katie, und der Mörder oder die Mörderin wollte Katie gar nicht töten, sondern ihr nur drohen? Vielleicht wurde sie deshalb niedergeschlagen? Zur Einschüchterung? Das würde heißen, dass das Mädchen vielleicht etwas weiß!«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte James. »Zu schade, dass sie nicht hier ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sonst hätten Sie unter Umständen eine Chance gehabt, mit Katie ins Gespräch zu kommen, von Frau zu Frau gewissermaßen. Vielleicht wäre sie Ihnen gegenüber nicht so verschlossen gewesen. Aber Dr. Goat wird sie mindestens für morgen krank geschrieben haben. So lange kommen wir nicht an sie heran.«
Es klopfte einmal laut an die Tür, dann wurde sie energisch aufgestoßen, und eine Krankenschwester trat mit polteriger Geschäftigkeit ein.
»Fiebermessen!«
Als sie James sah, schob sie ein missbilligendes »Guten Abend« hinterher und sah demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Sie wissen, dass die Besuchszeit bereits seit drei Stunden vorbei ist!?« Es war mehr ein Befehl als eine Frage.
»Mr Gerald war so freundlich, mir meine Sachen zu bringen!« Sheilas Stimme klang plötzlich überaus ungehalten, und zwar genau um eine Spur unfreundlicher als die der Krankenschwester. Dreißig Jahre als Chefsekretärin hatten eine Persönlichkeit reifen lassen, die sich von niemandem auf der Nase herumtanzen ließ. James beobachtete amüsiert, dass sich das Verhalten der Schwester sogleich änderte. Sie lächelte beinahe unterwürfig und wirkte dabei wie ein Hund, der einem Stärkeren gegenüber intuitiv das Knurren einstellt. »Gut. Ich komme später noch einmal.«
James erhob sich. »Nicht nötig, ich wollte ohnehin aufbrechen.« Er bewegte sich mit seinem Rollator langsam zur Tür, die ihm die Schwester zuvorkommend aufhielt.
»James?«, rief Sheila ihm nach. »Versprechen Sie mir, heute nichts mehr zu unternehmen!«
Er drehte sich zu ihr um. »Schlafen Sie gut.«
Sheila seufzte. »Seien Sie wenigstens vorsichtig«,
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