Null
Einen Moment lang ragte es in einem 4 5-Grad -Winkel hoch, genau in der Schwebe, ohne wegzukippen oder wieder auf sie zu krachen. Nava spannte die Muskeln der rechten Hand an und versetzte ihm erneut einen Stoß. Dröhnend fuhr das Feuer in den freien Raum zwischen ihr und dem Sofa, versengte die Luft. Sie stieß ein letztes Mal zu, und das Sofa krachte links neben ihr herunter. Sie war frei.
Nava kam mühsam hoch und lief in den vorderen Teil der Wohnung. Die Außenmauer war fast völlig verschwunden; es war nichts übrig geblieben als ein Skelett aus Schlackenbeton-Formsteinen. Nava zwängte sich hindurch und sog gierig die frische Luft ein, entfernte sich stolpernd von dem brennenden Gebäude. Dann brach siezusammen, aber das war ihr egal; der Boden war kalt, und die Luft war sauber.
Saitzew hatte immer gesagt, ausruhen könne sie sich noch, wenn sie tot sei, aber sie beschloss, den Leitspruch ihres Mentors dieses eine Mal zu ignorieren. Das hier war der richtige Moment. Bevor sie ohnmächtig wurde, sah sie, wie ein Unbekannter sich über sie beugte.
Er trug eine rote Fliege.
Forsythe verglich die Kernspintomographie des Zwillings mit der von Testperson Beta. Sie stimmten nicht völlig überein, aber die Anomalien im rechten Temporallappen waren durchaus vergleichbar. Das übertraf Forsythes Hoffnungen bei weitem. Wenn er dem Zwilling das experimentelle Antiepileptikum verabreichte, sollte er in der Lage sein, die Hirnchemie von Testperson Beta zu replizieren. Eine Testperson und dazu noch eine Kontrollperson – etwas Besseres konnte ihm nicht passieren. Zu schade, dass es keine Drillinge waren.
Mit einem Mal begannen die Neonleuchten zu flackern und gingen aus.
Forsythes Puls verdoppelte sich, er begann schwer zu atmen. Es war still. Er hatte das Geräusch der Ventilation gar nicht wahrgenommen, bevor sie zu arbeiten aufhörten. Nun gab es nichts als den stockfinsteren Raum und sein eigenes, angestrengtes Hecheln. Er streckte die Hände aus und fuhr die Tischfläche entlang. Etwas fiel mit lautem Knall zu Boden.
Endlich bekamen seine zitternden Finger das Telefon zu fassen. Er hielt den Hörer ans Ohr. Gott sei Dank, ein Freizeichen. Er wählte Grimes’ vierstellige Durchwahl. Es klingelte achtmal, bevor Grimes abhob.
«Jau.»
«Was ist los, verdammt?» Forsythe wusste, dass seine Stimme erbärmlich klang, aber es war ihm egal. «Warum ist das Licht aus?
Welcher Idiot hat das verdammte Licht ausgeschaltet?
»
«Mensch, jetzt bleiben Sie mal cool, Dr. Jimmy», sagte Grimes. «Was ist denn los, fürchten Sie sich im Dunkeln oder was?»
Forsythe wollte antworten, aber er konnte nicht. Er bekam kaum Luft. Diese totale Finsternis brachte es wieder zurück – wie seine Mutter ihn als Kind immer im Schrank eingeschlossen hatte. Manchmal nur für ein paar Minuten, aber wenn er besonders böse gewesen war, hatte sie ihn stundenlang da dringelassen. Er konnte sich an den Geruch der Mottenkugeln erinnern und daran, wie die Anzüge seines Vaters an seinem Kopf rieben. Und an die Hitze. Nach zehn Minuten war ihm der Schrank wie ein Ofen vorgekommen; dann waren seine Anziehsachen klatschnass und klebten.
Das Schlimmste jedoch war die Dunkelheit gewesen. Die unerbittliche drückende Schwärze. Nach einer Weile wusste er nicht mehr, ob er die Augen geöffnet hatte oder geschlossen. Dann fing er an, Sachen zu sehen, und dann schrie er, schrie wie am Spieß. Er wusste, dass das Geschrei nicht half – seine Mutter ließ ihn nie raus, solange er schrie –, aber er konnte nichts dagegen tun …
Unvermittelt hörte Forsythe ein lautes Zischen, und die Neonröhren gingen flackernd wieder an. Prompt schlug sein Herz nicht mehr ganz so wild, und er schaffte es, einmal tief bebend Luft zu holen.
«Sehen Sie?», sagte Grimes. «Schon vorbei.»
«Was für eine Scheiße war das denn?», fragte Forsythe. Er hatte sich wieder einigermaßen gefasst.
«Pfui, was sind das denn für Ausdrücke?», sagteGrimes mit einem Lachen. «Ist alles okay. Ich hab nur gecheckt, wie die I T-Spezis den Großrechner mit der Elektrik verbunden haben, und dabei ein paar Kabel vertauscht.»
«Dass Ihnen das nicht nochmal passiert», sagte Forsythe.
«Aye, aye, Capt-»
Forsythe knallte den Hörer auf die Gabel, bevor Grimes sein schwachsinniges Gelaber beenden konnte. Er sah auf die Uhr – elf. Testperson Beta war seit fünf Stunden verschwunden. Forsythe war nun gänzlich von dem Spyware-Programm abhängig, das Grimes im
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