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Null

Null

Titel: Null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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dem Tod gibt, unendlich gering ist, wäre der Genuss, den man erwarten kann, wenn man ein religiöses Leben führt, immer noch größer als der Genuss, den man erwarten kann, wenn man hedonistisch lebt und die ewige Verdammnis riskiert.
    Und als Pascal das klar wurde, hatte sich für ihn die Frage, ob er den Rest seines Lebens der Religion widmen sollte, geklärt.»
    «Bedeutet das also, dass auch Sie ein religiöses Leben führen?», fragte Michael zur Belustigung der übrigen Studenten.
    «Nein, das tue ich nicht», sagte Caine mit einem Lächeln.
    «Und wieso nicht?»
    «Aus zwei Gründen: Erstens halte ich persönlich die Freuden eines hinreichend hedonistischen Lebens für positiv unendlich, die eines religiösen Lebens aber für negativ unendlich.» Einige Studenten applaudierten. Caine hob eine Hand. «Und zweitens führe ich aus dem gleichen Grund ein hedonistisches Leben, aus dem ich auch Lotto spiele: Manchmal muss man sich einfach mal sagen: ‹Scheiß auf die Statistik›, und seinem Gefühl folgen.»
    Alle lachten, und ein paar Studenten pfiffen sogar auf den Fingern. Caine wollte gerade die Stunde beschließen, als er sah, dass das Kreidestück in seiner Hand zu wachsen anfing.
    Es ragte wie ein großer Holzstab aus seiner Hand hervor. Er berührte es mit den Fingern der anderen Hand, und nun schienen auch diese größer zu werden, schienen wie vier lange Karamellstücke aus seiner Hand zu wachsen. Einen Moment lang stand er wie vom Blitz getroffen da. Doch als sich die Kreide dann in seine Richtung zu biegenschien, warf er sie zu Boden, wo sie zerbrach und sich die einzelnen Teile wanden wie Regenwürmer.
    Nach Luft schnappend, sah er zur Tafel hoch, um wieder Halt zu finden, aber das machte alles nur noch schlimmer. Die Tafel ragte hoch über ihm auf, und seine Gleichungen flatterten wie weiße Bänder im Wind. Verzweifelt wandte er sich zu seinen Studenten um, da er hoffte, der Anblick lebendiger Wesen würde dem Spuk ein Ende bereiten. Doch diese Hoffnung trog. Drei Studenten meldeten sich mit erhobener Hand, und die Arme wuchsen wie riesige, sacht im Winde wogende Palmstämme aus ihren Körpern.
    Dann roch er den Gestank. Ein widerlicher Fäulnisgeruch, der vor seinem geistigen Auge Bilder von verwesendem, verrottendem Fleisch heraufbeschwor. Er versuchte zu begreifen, was hier geschah, aber es war zu spät. Plötzlich fühlte er sich, als hätte ihm jemand mit voller Wucht vor die Brust geschlagen. Alle Luft wich aus seiner Lunge. Er schaffte es gerade noch bis zum Abfallkorb, dann übergab er sich und wurde ohnmächtig, und im Fallen schlug er sich noch an einem Tisch den Kopf auf.
    Glücklicherweise machte einer seiner Studenten gerade ein Praktikum auf der neurologischen Station des Mount Sinai Hospital, und so blieb Caine die Demütigung erspart, mit in den Mund gestopfter Brieftasche wieder zu sich zu kommen, wie es ihm drei Monate später widerfuhr, als er in der U-Bahnlinie N ohnmächtig wurde. Damals wusste er natürlich nicht, dass er dankbar hätte sein sollen. Er wusste nur, dass sein neues Leben in die Brüche zu gehen schien.
     
    Erst drei Wochen später brachte er wieder den Mut auf, einen Hörsaal zu betreten, aber es endete in einem Desaster.Als er in all die erwartungsvoll blickenden Gesichter schaute, sah er vor seinem geistigen Auge nur riesige, winkende Hände, wie groteske Requisiten aus einem schlechten Tim-Burton-Film. Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, drang kein Laut daraus hervor. Caine atmete tief durch, und seine Nasenlöcher blähten sich, als ihm der fürchterliche Gestank verwesenden Fleischs wieder in den Sinn kam.
    «Alles in Ordnung mit Ihnen?»
    Caine hörte einen Studenten in der ersten Reihe diese Worte sprechen, konnte aber nicht antworten. Vielmehr lief er die Hörsaaltreppe hinauf und stürzte, die schwere Flügeltür aus Stahl aufstoßend, hinaus. Draußen spürte er dann, wie sein Herz allmählich langsamer schlug. Vorsichtig atmete er die kühle Luft ein und war erleichtert, als er feststellte, dass der Gestank verschwunden war.
    Einmal versuchte er noch zu unterrichten, aber es war zwecklos. Diesmal geriet er schon in Panik, als er den Raum betrat. Am Pult angelangt, bekam er kaum noch Luft. Schweißbäche liefen ihm von der Stirn und brannten ihm in den Augen. In einer entsetzlichen Wiederholung seines ersten Anfalls taumelte er zum Abfalleimer und erbrach den Burrito, den er eine Stunde zuvor zum Frühstück gegessen hatte.
    Als er die

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