Null
haben.
Also musste er zahlen. Entweder das oder Frieden schließen mit Nikolaev. Vielleicht konnte er seine Schulden abarbeiten. Caine schüttelte den Kopf, als ihm dieser Einfall in den Sinn kam. Als was denn abarbeiten? Als Gangster? Doch wohl eher nicht. Er seufzte. Er kam nicht umhin: Er musste das Geld besorgen.
Doch wie sollte er so viel Geld beschaffen? Die Antwort lag auf der Hand: genau so, wie er es verloren hatte: mitZocken. Unwillkürlich betastete er das dünne Geldbündel in seiner Tasche. Er konnte mit seinen vierhundert Dollar in einen anderen Club gehen und versuchen, etwas daraus zu machen. Dass es ihm gelang, war nicht völlig unwahrscheinlich.
Wenn er Glück hatte, konnte er bis zum Morgen ein paar Tausender gewinnen. Wenn er verlor, steckte er natürlich noch tiefer in der Scheiße. Und wenn Nikolaev erfuhr, dass Caine in einem anderen Club spielte, würde das den Russen nicht erfreuen.
Wie wäre es mit Atlantic City? Er konnte mit dem Bus dorthin fahren und vielleicht am Pokertisch ein paar Touristen ausnehmen. Er würde auf jeden Fall gewinnen, wenn er vorsichtig spielte; das Problem war bloß, dass es zu lange dauern würde. Die todsicheren Verlierer setzten nur ein paar Dollars, und außerdem saß an jedem Tisch mindestens ein echter Könner. Bei solch kleinen Einsätzen konnte Caine nur zwanzig bis dreißig Dollar die Stunde verdienen. Das war nicht schlecht, aber es war zu wenig, und es kam zu spät. Selbst wenn er sechzehn Stunden am Stück spielte, sackte er nur 320 bis 480 Dollar ein; bei dieser Quote musste er 116 Tage nacheinander gewinnen.
Nein, ein Spielkasino kam nicht in Frage. Und was einen anderen Pokerclub anging: Diese Option wollte sich Caine für ein andermal offen halten. Die Alternative bestand darin, sich eine Arbeit zu suchen, aber er konnte unmöglich schnell genug einen normalen Job finden. Nicht bei dieser Wirtschaftslage und nicht mit seinem Lebenslauf, in dem eine riesige Lücke der Untätigkeit klaffte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie das Vorstellungsgespräch ablaufen würde:
«Also, Mr. Caine, was haben Sie denn seit 2002 gemacht?»
«Na ja, ich war ein paar Monate lang ans Bett gefesselt, weil ich dazu neige, ein paar Mal die Woche Wahnvorstellungen zu bekommen, und dann kriege ich Krämpfe. Aber seit September bin ich Stammgast in Vitaly Nikolaevs Pokerclub. Beim Texas Hold ’Em bin ich kaum zu schlagen. Ach, und apropos: Könnten Sie mir elftausend Dollar vorschießen? Die muss ich an die Russenmafia zahlen, sonst bringen die mich um.»
Oder vielleicht konnte er einem seiner Professoren ein Forschungsstipendium aus dem Kreuz leiern. Das war eine gute Idee, aber in der Theorie wahrscheinlich besser als in der Praxis. Bei diesen Stipendien gab es immer mehrere Bewerber; und er würde unmöglich einen so hohen Vorschuss bekommen; außerdem sprangen dabei sowieso nur ein paar Kröten raus. Das große Geld kam aus dem privaten Sektor, und deshalb hatten die führenden Professoren auch alle nebenbei Beraterverträge bei Wallstreet-Unternehmen.
Plötzlich hatte Caine eine Idee: Er konnte seinen Doktorvater bitten, ihn für eins seiner Projekte zu engagieren. Wenn Caine ihn auf Knien anflehte, würde Doc ihm vielleicht die analytische Kärrnerarbeit übertragen. Ja, wenn er Glück hatte, würde ihm Doc sogar ein wenig Geld vorschießen. Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach zehn.
Doc gab normalerweise um halb Elf eine Einführungsveranstaltung zur Statistik an der Columbia. Solche Veranstaltungen waren ihm lieber als Seminare, denn so blieb ihm mehr Zeit für seine Forschungen. Wie den meisten Professoren war Doc das Unterrichten zuwider, auch wenn man das nicht geahnt hätte, wenn man einmal gesehen hatte, was für eine Show er vor den Studenten abzog.
Ein Anruf bei der Univerwaltung bestätigte, dass heute Docs erste Veranstaltung des Semesters stattfand. WennCaine sich beeilte, konnte er Doc noch vorher abpassen. Er schnappte sich seine Lederjacke, und da fiel ihm das Fläschchen mit den weißen Kapseln aus der Tasche, was ihn daran erinnerte, dass es Zeit war, das Medikament zu nehmen. Als er sich eine Tablette auf die Hand schüttete, kam er nicht umhin, sich zu fragen, ob die akustischen Halluzinationen der vergangenen Nacht durch das experimentelle Medikament ausgelöst worden waren.
Er hatte Angst davor, eine weitere Pille zu nehmen, hatte aber noch größere Angst davor, was passieren würde, wenn er keine nahm. Ehe er womöglich
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