Nullen machen Einsen groß: Mathe-Tricks für alle Lebenslagen (German Edition)
Möglichkeiten. Und zwar so viele, dass einem schwindelig wird.
Die Theorie des Schnürens geht auf den australischen Mathematiker Burkard Polster zurück. Im Jahr 2002 publizierte er im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ einen kleinen Artikel über die erstaunlich vielen Schnürvarianten. „Ich denke, niemand war mehr über das große öffentliche Interesse an dem Thema überrascht als ich“, sagte der Australier später.
Schon bei der Frage, wie man eine Schleife bindet, haben wir gesehen, dass Knotentheorie eine Menge mit Kombinatorik zu tun hat. Eine Schleife besteht im Grunde aus zwei einfachen Knoten. Jeder dieser Knoten kann auf zwei Weisen ausgeführt werden – entweder beginnt man mit dem rechten Senkel oder mit dem linken. Insgesamt gibt es daher 2 x 2 = 4 Varianten, eine Schleife zu binden. Zwei davon sind Kreuzknoten, das sind jene, bei denen die beiden Knoten unterschiedlich orientiert sind. Die anderen zwei sind schlecht haltende Altweiberknoten.
Schnürvarianten: Stern (links) und der Klassiker Überkreuz (rechts) © Oliver Mann
Beim Schnüren ist die Zahl der Varianten ungleich größer. Das zeigt schon der Blick auf das unterste Löcherpaar. Durch dieses müssen wir unseren Schnürsenkel ja auf jeden Fall fädeln, um den Schuh schnüren zu können. Aber schon dabei gibt es vier Möglichkeiten. Ich kann die beiden Enden des Senkels durch beide Löcher von oben führen oder von unten. Oder aber ich fädele sie verschieden ein: links von oben und rechts von unten beziehungsweise rechts von oben und links von unten.
Kunst mit Schnürsenkeln: Teufel (links) und Zigsag (rechts) © Oliver Mann
Das erste Löcherpaar haben wir gemeistert – und nun wird es kompliziert. Ich kann beide Enden diagonal nach oben ins nächste Löcherpaar führen. Möglich ist aber auch, die Senkel nicht diagonal, sondern senkrecht nach oben zum darüberliegenden Loch zu ziehen. Oder ich fädele nur ein Ende in das Löcherpaar darüber und das andere ins übernächste Löcherpaar oder auch ganz nach oben. Diese Schnürung kennen Sie vielleicht von Sportschuhen, wenn man sie im Laden aus dem Karton nimmt.
Burkard Polster hat die Schnürtechniken nach verschiedenen Kriterien klassifiziert. Er unterscheidet acht verschiedene Schnürfamilien, darunter Überkreuz, Zickzack, Stern und Fliege (Bowtie). Zwei außergewöhnliche Schnürtechniken, bei denen die Senkel im Schuh nicht nur nach oben, sondern auch nach unten geführt werden, bevor sie schließlich das letzte Löcherpaar oben erreichen, nennt der Mathematiker Teufels- beziehungsweise Engelsschnürung. Zigsag heißt eine weitere Schnürfamilie, für die ich leider keine gute Übersetzung ins Deutsche gefunden habe. Bei all diesen Schnürungen wird jedes Schnürsenkelloch genau einmal benutzt.
Daneben unterscheidet Polster die verschiedenen Techniken auch noch nach anderen Eigenschaften:
dicht: Die Senkel werden nirgends vertikal geführt, Beispiele dafür sind Überkreuz, Zickzack und Stern.
einfach: Die Senkel werden nirgends zurück zu einem unteren Loch geführt, sondern nur zu benachbarten oder höher liegenden Löchern. Teufel und Engel gehören nicht dazu.
gerade: Die Schnürung enthält alle horizontalen Verbindungen, wie etwa Zickzack und Schlange.
supergerade: Die Schnürung ist gerade, alle nicht horizontalen Segmente verlaufen vertikal (und nicht diagonal). Ein Beispiel dafür ist die Schlangenschnürung.
Wenn ein Schuh nur 2 Lochpaare besitzt, sind die folgenden 3 Schnürungen möglich:
Quelle: Polster
Der Schnürsenkel ist hier – wie in der Knotentheorie üblich – als geschlossenes, ringförmiges Seil dargestellt. Ob Senkel von oben oder unten in ein Loch gefädelt werden, spielt bei Polsters Theorie keine Rolle. Ihn interessiert nur, welche Löcher wie verbunden sind. Wenn Sie das Seil an einer Stelle in Gedanken durchschneiden, machen Sie daraus einen Schnürsenkel mit zwei Enden – so wie Sie ihn kennen. Bei den Schnürungen ganz links und ganz rechts würde man das Seil in der Mitte zwischen den beiden oberen Löchern durchschneiden – und an dieser Stelle die Schleife binden:
Bei der mittleren Schnürung wird das Binden einer Schleife zu einer kleinen Herausforderung. Entweder ich setze den fiktiven Schnitt bei einem der beiden diagonal verlaufenden Senkel – die Schleife würde dann diagonal verlaufen. Oder ich schneide direkt an
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