Nullpunkt
schwaches Licht. Conti trat ein. Er sah zuerst nach rechts, dann nach links. Und dann erstarrte er. Für einen langen Moment rührte er sich nicht, dannschaltete er die Kamera ein und filmte vielleicht fünfzehn Sekunden lang, bevor er sich zu den beiden anderen im Korridor umwandte.
«Kari?», fragte er mit merkwürdig schwerer Stimme. «Könnten Sie vielleicht für einen Moment herkommen?»
Sie setzte sich in Bewegung und trat durch die Tür. Direkt vor ihr stand ein riesiges Regal voll mit alter, verstaubter Elektronik. Als sie sich zu Conti wandte und ihn fragend ansah, deutete er wortlos an ihr vorbei nach hinten. Sie drehte sich um und sah in die angezeigte Richtung. Zuerst sah sie nichts. Dann senkte sie den Blick nach unten in die Ecke, wo die Wände und der Boden zusammenliefen. Dort lag ein menschlicher Kopf, das Gesicht nach oben, und starrte sie aus toten Augen beinahe anklagend an. Schock und Entsetzen ließen Kari rückwärts torkeln. Ein Teil ihres Verstandes registrierte, dass es der Kopf von Creel war, dem Vorarbeiter des Handlanger-Teams aus Anchorage. Der Kopf war mit brutaler Gewalt von den Schultern gerissen worden und lag in einer großen Blutlache. Vielleicht einen Meter davon entfernt lugten zwei Stiefel hinter dem Metallregal hervor.
Kari stöhnte auf und wich hastig weiter zurück, bis sie unsanft gegen etwas prallte. Sie wirbelte herum und starrte direkt in das Objektiv von Contis Kamera. Er hatte sie die ganze Zeit über gefilmt. Sie sah die Spiegelung ihres Gesichts in der Linse – ein kleines, blasses Gesicht, verletzlich, angstvoll.
«Hören Sie auf damit!», hörte sie sich kreischen. «Hören Sie sofort auf damit, sie verdammter Mistkerl! Hören Sie auf!
Hören Sie auf!»
45
«Ich bin mit der Blutuntersuchung fertig», sagte Faraday leise.
Marshall sah zu ihm herüber. Der Biologe war in den letzten Minuten geschäftig zwischen Stereomikroskop und Zentrifuge hin und her geeilt. Die Abdrücke der Okulare zeichneten sich um seine Augen herum ab und ließen ihn ein wenig wie ein Waschbär aussehen.
«Und?», fragte Marshall.
«Es ist anders als alles, was ich je gesehen habe.»
Sully seufzte ungeduldig. Gonzalez hatte sich immer noch nicht zurückgemeldet, und das Warten zerrte mächtig an seinen Nerven. «Es wäre hilfreich, wenn Sie etwas spezifischer werden könnten, Wright.»
Faraday setzte seine Brille wieder auf und blinzelte Sully an. «Es betrifft die weißen Blutkörperchen … hauptsächlich.»
Sully machte eine Bewegung mit der Hand, als wollte er sagen,
wir warten
.
«Sie wissen, dass die weißen Blutkörperchen der Abwehr dienen – Infektionen, Entzündungen und so weiter. Die neutrophilen und basophilen Granulozyten, die Lymphozyten und so weiter – ihre Aufgabe ist die Abwehr von schädlichen Einflüssen und die Wundheilung. Nun, dieser Organismus besitzt ein hyperentwickeltes System weißer Blutkörperchen. Quasi eine Heilmaschine mit Nachbrenner. Es gibt eine unglaublich hohe Konzentration an Monozyten. Und sie sind absolut nicht typisch – sie sind
riesig
. Zweifellos imstande, sich in Makrophagen zu verwandeln und eine Tonne Zytokine und andere Substanzen in den Kreislauf zu entlassen und damit praktisch eine Instantheilung hervorzurufen.»
Als niemand etwas sagte, fuhr Faraday fort: «Da ist nochetwas. Die Tests deuten auf eine chemische Komponente im Blut und im Gewebe hin, die ganz ähnliche Eigenschaften besitzt wie Arylcyclohexylamin.»
«Wie bitte?», fragte Marshall.
«Phenylcyclohexylpiperidin, auch PCP genannt. Angel Dust. Die Substanz ist in bemerkenswert hoher Konzentration im Blut dieser Kreatur vorhanden – mehr als hundert Nanogramm pro Milliliter. PCP ist ein NMD A-Blocker , der sowohl als Stimulans als auch als Anästhetikum wirkt. Ich verstehe nicht, wie dieses Wesen solch eine Substanz produzieren kann – ich habe so etwas noch nie zuvor in der Natur gesehen –, ganz gewiss nicht in solch hoher Konzentration. Angenommen, es ist nicht körperfremd, dann wird es vielleicht vom Hypophysenvorderlappen als Reaktion auf Stress in den Blutstrom ausgeschüttet. Wie dem auch sei, eine derartige Flut von exotischen Chemikalien im Blutkreislauf würde die Unempfindlichkeit dieses Wesens gegen Kugeln und andere Verletzungen erklären. Es spürt die Wunden einfach nicht, und …»
«Das ist alles sehr interessant», unterbrach Sully den Biologen. «Aber es bringt uns keinen Schritt näher an unser eigentliches Ziel: die Achillesferse dieses
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