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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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senken. Und das würde hoffentlich für die beiden letzten Wochen der Expedition so bleiben.
    Marshall konnte die Wiederkehr dieser Ruhe kaum erwarten – auch wenn er nicht abstreiten konnte, dass an dieser Nacht etwas Besonderes war, etwas Einzigartiges und Aufregendes, und er eine absurde Freude darüber verspürte, Teil dieses Ereignisses zu sein.
    Jetzt trat Ashleigh Davis aus ihrem Wohnwagen, begleitet von Emilio Conti, ihrer persönlichen Assistentin und einem Agenten. Sie bewegten sich auf eine freie Stelle in der Nähe der ehemaligen Sicherheitskontrolle zu, wo Fortnum, Toussaint,der Beleuchter und der Chef der Bühnenarbeiter warteten. «Bist du auch sicher, dass du dich warm genug angezogen hast?», hörte Marshall Conti fragen, als sie vorüberkamen.
    «Keine Sorge, es geht schon, Darling», antwortete Ashleigh Davis im heldenhaft resignierten Tonfall einer Märtyrerin. Sie hatte ihren kostbaren Pelz gegen eine modische Daunenjacke von Marmot eingetauscht.
    «Die Sequenz dürfte nicht länger dauern als zehn Minuten, höchstens», sagte Conti in kriecherischem Tonfall. «Wir haben Hintergrund und Verfahrensweise bereits im Kasten.» Sie würdigten Marshall keines Blickes, als sie vorbeirauschten.
    «Schätze, ich mache mich jetzt besser nützlich», sagte Kari Ekberg. «Wir sehen uns dann später wieder.» Sie schloss sich der Agentin an, die den Abschluss der kleinen Prozession bildete.
    Carradine grinste und schüttelte den Kopf. Er kaute auf einem gewaltigen Stück Kaugummi, das seine Backe anschwellen ließ wie die eines Hamsters. «Was sagen Sie – bleiben wir hier und verfolgen diesen Affenzirkus?»
    «Wenn Sie die Kälte vertragen», erwiderte Marshall mit einem Kopfnicken auf das dünne Hemd des Truckers.
    «Verdammt, das ist doch nicht kalt. Kommen Sie, suchen wir uns zwei Plätze in der ersten Reihe.» Mit diesen Worten nahm er zwei Holzkisten, stellte sie in den Schnee, setzte sich auf eine und bedeutete Marshall mit einer einladenden Handbewegung, auf der zweiten Platz zu nehmen.
    Es gab ein letztes hektisches Durcheinander beim Kontrollpunkt, die Scheinwerfer flammten auf, Kari ließ den Teleprompter probehalber durchlaufen, der Ton wurde justiert und Ashleighs Nase gepudert, bevor sie die Maskenbildnerin mit einem Fluch wegjagte. Dann fiel die Klappe, Contikreischte sein «Action!», und die Kameras liefen. Augenblicklich wich das übellaunige Gesicht Ashleighs einem strahlenden Lächeln. Sie wirkte aufgeregt und dramatisch und verlockend zugleich.
    «Es ist jetzt beinahe so weit», hauchte sie atemlos in die Kameras, als wäre sie die gesamte vergangene Woche mit vor Ort gewesen und hätte sich zusammen mit den anderen die Hände schmutzig gemacht. «In weniger als vierundzwanzig Stunden wird der Tresor geöffnet und das Rätsel des Urwesens gelöst. Und als hätte die Natur die Bedeutung dieses Moments verstanden, bekommen wir ein durch und durch atemberaubendes Schauspiel serviert: Nordlichter, wie sie in ihrer Großartigkeit und Pracht wohl noch niemand erlebt hat …»

15
    Obwohl es anschließend relativ ruhig wurde in der Basis – alle waren schlafen gegangen in Erwartung eines aufregenden nächsten Drehtags –, verbrachte Marshall wie üblich eine ruhelose Nacht und warf sich auf seiner spartanischen Pritsche hin und her. Sosehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, es sich bequem zu machen. Zog er die Laken bis zum Kinn, war ihm zu warm, warf er sie zur Seite, fing er bald darauf an zu frieren. Hin und wieder verkrampften sich die Muskeln in seinen Armen und Beinen spasmisch, als wären sie außerstande, sich zu entspannen. Er konnte das hartnäckige Gefühl einfach nicht abschütteln, dass – obwohl es nach außen hin ganz und gar nicht danach aussah – irgendetwas nicht stimmte.
    Schließlich versank er in einen unruhigen Schlummer, und eine Folge beunruhigender Bilder zog in langsamer Prozession an seinem inneren Auge vorüber. Er befand sich draußen im Permafrost, allein, über sich diese eigenartigen, wütenden Nordlichter. In seinem Traum hingen sie noch tiefer als am Abend, so tief, dass sie auf seine Schultern zu drücken schienen. Er starrte sie an in einer Mischung aus Ehrfurcht und Unruhe, während er weiterging. Dann blieb er plötzlich stehen und runzelte überrascht die Stirn. Vor ihm berührten sie das Land, viskose Tropfen, die wie Wachs von einer Kerze flossen. Während er hinsah, wurden die Formen größer, nahmen Gestalt an, verfestigten sich. Beine

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