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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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Josh Peters streckte sich und nahm die Stöpsel aus den Ohren. Sein Traum und die Klavierimprovisationen von McCoy Tyner versanken im Nichts und die Geräusche der Realität kehrten zurück: das unablässige Knacken der Heizungsrohre, weit entfernte metallische Schläge, die ungeduldige Stimme seines Zimmergenossen.
    «Josh! Hey, Josh! Wach endlich auf, verdammt nochmal!»
    Peters schaltete seinen MP 3-Player aus und öffnete blinzelnd die Augen. Blaines von der eisigen Kälte gerötetes Gesicht mit den gesprungenen Lippen tauchte aus dem Nebel auf.
    «Was …?», murmelte Peters.
    «Was,
was
? Du bist an der Reihe, Mann! Ich war eine Stunde lang draußen in diesem Scheißwetter!»
    Peters mühte sich in eine sitzende Haltung, dann ließ er sich rücklings zurück auf seine Pritsche fallen.
    «Du solltest dich lieber beeilen. Es ist nach neun Uhr, und du solltest Wolff lieber nicht hier drinnen über den Weg laufen.»
    Er war schlagartig hellwach, sprang aus dem Bett und rieb sich energisch mit den Händen das Gesicht.
    «Die ganze Aktion ist totaler Schwachsinn!», schimpfte Blaine aufgebracht. «Wir haben schon einen ganzen Tag lang nach diesem Ding gesucht! In diesem Sturm findet niemand irgendwas. Mach es genauso, wie ich es getan habe: Lauf im Kreis herum, tu, als würdest du eifrig suchen, und pass auf, dass du dir nicht den Arsch abfrierst.»
    Peters antwortete nicht. Er zog sich ein Hemd über und schlüpfte in seine Stiefel. Vielleicht gelang es ihm irgendwie,das Ganze im Halbschlaf hinter sich zu bringen und zu seiner Koje zurückzukehren und da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte: in dem wunderbaren Traum, in dem Ashleigh Davis mit Haselnuss aromatisiertes Massageöl – von der essbaren Sorte – über seinem …
    «Das kriegt die Gewerkschaft zu hören, sobald wir zurück sind, Mann. Hey, mein Job ist es, die digitalen Archive zu warten und die Einstellungen zu loggen – und nicht, nach diesem abscheulichen Yeti zu suchen», schimpfte Blaine. «Abgesehen davon – wieso lassen sie
uns
draußen suchen? Warum können wir nicht wie Fortnum und Toussaint die Spinde durchsuchen?»
    «Weil wir Arbeiter sind, Handlanger. Man muss kein Superhirn sein, um das zu begreifen.» Mit diesen Worten schlurfte Peters nach draußen, die Schuhbänder ungeschnürt, und ließ die Tür weit offen.
    Schlaftrunken suchte er den Weg durch die langen Korridore und ein hallendes Treppenhaus hinauf zur Eingangshalle. Bis auf den Wachposten von der Army, der in der Sicherheitsstation saß, war niemand in der Nähe. Peters winkte beiläufig, als er in die Wetterkammer schlurfte, wo er seinen Spind öffnete und seinen Parka anzog. Blaine hatte recht: Es
war
Schwachsinn. Es fing schon damit an, dass sie zur halben Basis überhaupt keinen Zutritt hatten. Wenn er einen Kadaver hätte beiseiteschaffen wollen, dann hätte er mit Sicherheit einen Weg gefunden, ihn dort zu verstecken, wo die anderen nicht danach suchen durften. Oder vielleicht auch im Quartier der Soldaten – sie hatten bestimmt nicht die geringste Lust, sich ihre persönlichen Sachen von einer Bande schwuler Filmtypen durchwühlen zu lassen. Andererseits – nur ein Idiot würde den Kadaver in die Basis schaffen und dort verstecken.Nicht nur, dass es einfach überall viel zu viele Augenpaare gab – es war auch warm und feucht genug, um Orchideen zu züchten: Ein Kadaver, erst recht ein zehntausend Jahre alter, würde innerhalb weniger Stunden anfangen, bestialisch zu stinken. Nein, wenn der Dieb auch nur halbwegs Hirn in der Birne hatte, dann hatte er ihn draußen versteckt.
    Und genau dorthin musste Peters.
    Er blieb stehen, um seinen Namen und die Uhrzeit in das Logbuch zu schreiben, das Wolff in der Wetterkammer ausgelegt hatte. Dann öffnete er die Schleusentür und trat nach draußen. Der erste eisige Windhauch wehte die letzten verbliebenen Spuren von Schläfrigkeit brutal davon. Jegliche Hoffnung, nach seiner einstündigen Schicht zurückzukehren in die Koje und zu seinem Traum, verflog. Er hatte gehört, dass eine Schlechtwetterfront heraufgezogen war, die sie auf der Basis festhielt und verhinderte, dass Flugzeuge landen, geschweige denn wieder starten konnten. Doch Hören war eine Sache – das Wetter zu erleben eine ganz andere. Er stolperte rückwärts gegen die Türen, senkte den Kopf, stemmte sich gegen den Wind. Eisig kalter Schnee brannte auf seinen Wangen, und er zog den Kopf so tief in das Fell der Kapuze, wie es nur ging. Durch die dichten Böen aus

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