Nullpunkt
der Josh Peters unmittelbar außerhalb der Einzäunung getötet hatte.
Carradine bemerkte das Zögern und lächelte. «Keine Sorge, Miss Davis», sagte er und hob sein Hemd. In seinem Hosenbund steckte ein riesiger Revolver. «Ich fahre nie ohne ihn über das Eis.»
Ashleigh zuckte zusammen, schlang sich den kostbaren Pelz enger um die Schultern und gestattete Brianna, als Windschutz vor ihr herzugehen.
Langsam bewegten sie sich über den asphaltierten Vorplatz. Die Schuppen und Anbauten ringsum waren im aufgewühlten Schnee kaum zu erkennen. Ashleigh Davis hielt den Kopf gesenkt und suchte sich mürrisch ihren Weg über die Massen von elektrischen Kabeln hinweg, die gefährlich unter einer Schicht von frischgefallenem Weiß verborgen lagen. Carradine ging neben ihr her, offenbar ohne die Kälte zu spüren. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, in der Wetterkammer einen der Parkas vom Haken zu nehmen. «Wie ich bereits sagte, der Sattelzug unseres Mannes bricht im Eis ein. Und der andere Kerl wird der neue König.»
«Schön, schön», murmelte Ashleigh.
Mein Gott, nur noch ein Dutzend Schritte bis zum Wohnwagen.
«Wie dem auch sei, es ist eine großartige Story, richtig gewalttätig. Der Trucker-Blickwinkel ist der helle Wahnsinn. Ich hab eine Kopie des Drehbuchs im Wagen, und ich … ich hatte überlegt, ob Sie mit Ihren Beziehungen und allem vielleichtwillens wären, einen Blick hineinzuwerfen und es vielleicht zu empfehlen …»
Er unterbrach seinen Redeschwall so abrupt, dass Ashleigh ihn überrascht von der Seite ansah. Dann hörte sie das Geräusch ebenfalls. Ein gedämpfter Schlag, ähnlich einem schweren Klopfen, das aus der Dunkelheit vor ihnen kam.
«Was ist das?», hauchte Ashleigh. Sie sah zu Brianna, die ihren Blick nervös erwiderte.
«Keine Ahnung», sagte Carradine. «Vielleicht ein Stück Ausrüstung, das sich gelöst hat.»
Klopf.
«Es ist genau wie bei der Portierszene in
Macbeth
!», rief Carradine aufgeregt. «Das Klopfen am Tor, nachdem sie Duncan ermordet haben! Ich hab diese Szene auch in meinem Stück, als der neue König der Trucker nach Yellowknife zurückkehrt, und der Sohn des alten Königs klopft an seiner Tür …»
Klopf.
Carradine lachte.
«Weck Duncan mit deinem Klopfen
»
, zitierte er.
«Das hättest du wohl gerne.»
Klopf.
Ashleigh machte einen weiteren Schritt vor, dann hielt sie inne. «Das gefällt mir nicht», sagte sie.
«Es ist nichts, bestimmt nicht. Kommen Sie, wir sehen nach.»
Sie bewegten sich langsam durch das dichte Schneetreiben in die Richtung, aus der das Klopfen gekommen war. Der Wind pfiff traurig zwischen den Gebäuden hindurch, zupfte an Ashleighs Mantelsaum und brannte auf der nackten Haut ihrer Beine. Sie stolperte über ein Kabel, fing sich und richtete sich wieder auf.
Klopf.
«Hinter Ihrem Wohnwagen», stellte Carradine fest.
«Schön. Was auch immer es sein mag, binden wir es wieder fest! Bei diesem Lärm kriege ich sonst kein Auge zu!»
Jetzt ragte der gewaltige Wohnwagen vor ihnen auf, ein grauer Monolith im Schneetreiben, mit leise schnurrendem Generator. Carradine führte die beiden Frauen mit flatterndem, wehendem Hemd um den Wohnwagen herum. Dort, zwischen Einzäunung und Wagen, war es viel dunkler als auf der anderen Seite. Ashleigh leckte sich nervös über die Lippen.
Klopf.
… und dann sahen sie es, direkt vor sich: Ein Mensch hing kopfüber an der Stütze für eine der Markisen. Er hatte keinen Mantel an, und seine Kleidung war an einigen Stellen zerfetzt. Die Arme hingen schlaff zu Boden. Der Kopf baumelte auf Augenhöhe und prallte vom Wind getrieben immer wieder gegen die Metallwand des Wohnwagens. Er war so stark zugeschneit, dass man nicht erkennen konnte, wer es war.
Klopf.
Brianna schrie auf und wich einen Schritt zurück.
«Er ist tot!», kreischte Ashleigh Davis.
Carradine machte einen raschen Schritt nach vorn und wischte den Schnee aus dem vor ihnen hängenden Gesicht.
«Oh Gott!», rief Ashleigh. «Das ist Toussaint!»
Carradine streckte sich, um den Toten von der Stütze zu lösen. In diesem Moment riss Toussaint abrupt die Augen auf. Er starrte die drei der Reihe nach verständnislos an. Dann öffnete er ganz unvermittelt den Mund und fing an zu schreien.
Brianna fiel ohnmächtig zu Boden. Ihr Kopf prallte mit einem hässlichen Schlag gegen die Wand des Wohnwagens.
Toussaint schrie erneut – es war ein heiserer, heulender Laut. «Es spielt mit uns!», schrie er.
«Es spielt nur mit uns!
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