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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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Suche nur noch zehn, höchstens fünfzehn Liter zur Verfügung. Der gefrorene Untergrund senkte sich steil zum Seeufer ab, und er musste das Steuer fest in der Hand halten und beständig Gas geben, um weiter voranzukommen.
    Plötzlich scherte der Cat wild zur Seite aus. Marshall drehte hastig am Lenkrad und trat das Gaspedal durch, als ihm bewusst wurde, dass vor ihm eine Schlucht lag. Die Kabine erzitterte, als die Ketten auf dem Eis durchdrehten. Marshall versuchte, die Maschine vorwärts zu bewegen, ohne dass sie tiefer in die gähnende Schlucht rutschte. Das mächtige Vehikel schwankte gefährlich. Dann überwand es die Kante des vereisten Hangs und kippte schwer nach vorn – auf den nun wieder ebenen Grund.
    Marshall ließ den Sno-Cat langsamer werden und schließlich stehen bleiben. Ein paar Sekunden saß er einfach nur da, während er darauf wartete, dass sich sein wild hämmernder Herzschlag wieder beruhigte. Schließlich gab er behutsam wieder Gas und entfernte sich vom steilen Ufer.
    Dann sah er etwas durch den wirbelnden Schnee – oder zumindest glaubte er, etwas zu sehen: graue Umrisse im eigenartigen Zwielicht des späten Herbsttages. Er hielt den Sno-Cat an und starrte angestrengt durch die Scheibe. Dort war definitiv etwas, dahinten, ein Stück abseits vom See. Er drehte am Lenkrad und ließ den Sno-Cat behutsam anrollen. Als er näher kam, lösten sich aus den grauen Schatten einfach gebauteIglus: zwei Stück, erbärmlich klein und zugeweht und umgeben von wirbelndem Schnee und Eis.
    Marshall hielt den Sno-Cat an, schaltete den Motor ab und schloss den Reißverschluss seines Parkas.
    Dann stieg er aus der Kabine, kletterte auf die Kette hinunter und sprang in den Schnee. Er wandte den Kopf vom Wind ab, als er sich dem ersten Iglu näherte. Es war dunkel und kalt, die Eingangsröhre ein schwarzes Loch. Er wankte zum zweiten Iglu und kniete vor dem Eingang nieder. Es war ebenfalls verlassen, die Decken aus Fell und Häuten in seinem Innern kalt und steif gefroren.
    Marshall richtete sich auf und sah sich um. Ein wenig abseits entdeckte er drei weitere Iglus und ein größeres Schneehaus. Das war alles. Keine weiteren Behausungen in der Nähe, und Marshall wurde schlagartig klar, wie klein die letzte Gemeinschaft der Tunit bereits war.
    Diese drei Iglus waren genauso verlassen wie die beiden ersten. Die Eiswände des Schneehauses jedoch schimmerten von innen in schwachem, orangefarbenem Licht. Ein Feuer brannte darin.
    Für einen Augenblick ließ der Orkan nach, als wollte er sich von all dem Toben ausruhen. Als sich das Schneegestöber legte, konnte Marshall die merkwürdigen, blutroten Nordlichter tief am Himmel erkennen. Sie tauchten das winzige Dorf aus Schnee und Eis in ein unheimliches purpurnes Licht.
    Marshall atmete tief durch und ging zum Schneehaus. Er zog das als Türklappe dienende Karibufell beiseite und trat vorsichtig ein. Das Innere war voller Qualm unter einer niedrigen Decke. Auf dem Boden lagen Felle und Decken im Überfluss. Marshall wischte sich Eis und Schnee aus dem Gesicht und blickte sich um. Als seine Augen sich an die Dunkelheitgewöhnt hatten, bemerkte er im Schneehaus nur eine einzige Person. Eine Gestalt in einem schweren Parka aus Karibufell kniete vor einem kleinen Feuer.
    Marshall atmete ein weiteres Mal tief durch. Dann räusperte er sich. «Verzeihung», begann er.
    Einen langen Moment rührte sich die Gestalt am Feuer nicht. Dann drehte sie sich langsam zu ihm um. Ihr Gesicht war tief in der fellgesäumten Kapuze verborgen. Die Gestalt hob eine Hand und schlug die Kapuze mit einer gemächlichen, besonnenen Bewegung zurück. Ein runzliges Gesicht voller komplizierter Tätowierungen schaute zu Marshall hinauf. Es war der alte Schamane, der die Wissenschaftler gewarnt hatte. In einer Hand hielt er ein Rentiergeweih, dekoriert mit phantasievollen Linien und Kurven, in der anderen einen mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Knochen. Vor ihm lag eine Rentierhaut, auf der mehrere Gegenstände verstreut waren: polierte Steine, winzige Fetische aus Fell, Tierzähne.
    «Usuguk», sagte Marshall.
    Der alte Mann nickte leicht. Er wirkte keinesfalls überrascht, Marshall zu sehen.
    «Wo sind die anderen?»
    «Gegangen», antwortete Usuguk. Seine Stimme war leise und monoton.
    «Gegangen?», fragte er.
    «Geflohen.»
    «Warum?»
    «Euretwegen. Und weil ihr es geweckt habt.»
    «Was haben wir denn geweckt?», fragte Marshall.
    «Usuguk hat bereits darüber gesprochen.
Akayarga

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