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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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geschafft. Er wusste nicht, wie hoch die maximale Geschwindigkeit des Fahrzeugs war, aber er wollte auf Nummer sicher gehen. Er hatte Logan angelogen. In seinem ganzen Leben hatte er noch keinen Sno-Cat gesteuert, doch das Gerät hatte sich als wunderbar einfach zu handhaben erwiesen, mit Armaturen ähnlich einem Traktor oder Laster sowie zusätzlichen Schaltern für den Pflug, die Winde, das rotierende Signallicht und die Getriebeheizung. Am schwierigsten zu kontrollieren waren die vier unabhängig gefederten Laufketten, die von den Vorder- und Hinterachsen hydraulisch angesteuert wurden und die zusammen mit der ungemütlichen Menge an Glasscheiben ringsum ein schwankendes, schwindelerregendesGefühl in ihm erweckten, so als hockte er viel zu hoch über dem Boden.
    Die sechs Halogenscheinwerfer des Cat schafften es kaum, die Dunkelheit und das Schneetreiben zu durchdringen. Marshall spähte angestrengt nach vorn in den tobenden Sturm, dann wieder zu dem auf dem Armaturenbrett angebrachten GPS. Er wusste aus den Erzählungen von Sergeant Gonzalez, dass sich das Lager der Tunit in der Nähe eines zugefrorenen Sees befand. Es gab in einem Umkreis von fünfzig Kilometern nur einen See in der Datenbank des GP S-Empfängers , aber der war ziemlich groß. Das machte den Treibstoffvorrat zu seinem größten Problem. Der Tank des Cat war noch halb voll. Das bedeutete hundert Liter, um den See zu erreichen, das Lager der Tunit zu finden und zur Basis zurückzukehren. Und Marshall wusste nicht, wie viel Treibstoff die gewaltige Maschine verbrauchte.
    Er fuhr weiter. Die Wischer arbeiteten unermüdlich, um die Scheiben von Schnee und Eis zu befreien. Er schüttelte benommen den Kopf, versuchte sich wach zu halten, wünschte sich, wenigstens eine Thermoskanne voll Kaffee mitgenommen zu haben. War es tatsächlich erst sechsunddreißig Stunden her, seit er das Verschwinden der Kreatur entdeckt hatte?
    Wieder einmal fragte sich Marshall, warum er eigentlich diesen Trip unternahm, der sich als fruchtloses Unterfangen, schlimmstenfalls sogar als fatal erweisen konnte. Wenn der Cat hier draußen mit einer Panne liegen blieb, bei diesem Wetter, würde man ihn niemals rechtzeitig finden.
    Die Tunit kennen die Antwort.
Ein unbekannter Wissenschaftler hatte diese Worte vor fünfzig Jahren niedergeschrieben. Die Antwort war ihm wichtig genug erschienen, um sieseinem Journal anzuvertrauen, sie zu verschlüsseln und in einem Versteck aufzubewahren. Und jetzt und heute war ein Mensch auf brutale Weise getötet und ein weiterer auf bizarre Weise angegriffen worden. Beinahe vierzig Personen schwebten in ernster Gefahr. Wenn nur die geringste Chance bestand, dass die Tunit etwas wussten – eine alte Legende, eine mündliche Überlieferung,
irgendetwas
, das Licht auf das werfen vermochte, was die Basis heimsuchte –, dann war es das Risiko wert.
    Und es gab einen weiteren, persönlicheren Grund. Ganz egal, wohin er in den vergangenen sieben Tagen gegangen war oder was er gemacht hatte – er hatte das Gefühl, nie ganz allein gewesen zu sein. Es gab da etwas, was ständig da war, ihn ständig beobachtete: zwei gelbe Augen, groß wie Fäuste, mit Pupillen wie bodenlose schwarze Tümpel. Seit er diese Augen in der Höhle zum ersten Mal durch das Eis hindurch gesehen hatte, verfolgten sie ihn. Der Paläoökologe in ihm wollte, musste diese Kreatur besser verstehen. Selbst wenn Faraday recht hatte, selbst wenn dieses Monster wie durch ein Wunder noch am Leben war und hinter all diesen Ungeheuerlichkeiten steckte, verspürte Marshall das drängende Bedürfnis, sein Rätsel zu entschlüsseln. Und er würde noch sehr viel weiter als dreißig Meilen durch einen blendend weißen Schneesturm fahren, um das zu bewerkstelligen.
    Die Fahrerkabine erzitterte einmal heftig, dann noch einmal. Der Untergrund wurde uneben. Marshall nahm die Geschwindigkeit zurück. Das GPS zeigte ihm den See jetzt direkt voraus, eine ausgedehnte blaue Fläche, die die gesamte obere Hälfte des winzigen Bildschirms ausfüllte. Und dort war er auch schon, gleich draußen vor der Scheibe: eine schmale Linie im tosenden Orkan, verdeckt von wirbelndem Schnee,erkennbar als Wasserfläche nur an seiner schnurgeraden, konturlosen Horizontlinie.
    Marshall verlangsamte den Cat. Er kurbelte am Lenkrad und fuhr am Ufer entlang, während er aufmerksam nach Anzeichen von menschlicher Besiedlung Ausschau hielt. Er hatte bereits vierzig Liter Treibstoff verbraucht, also hatte er für seine

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