Nullpunkt
gelassen. Das Leben meines besten Freundes.»
Langsam öffnete Usuguk die Augen.
«Es war vor zwölf Jahren. Ich war Ranger bei der Army und in Somalia stationiert. Meine Einheit wurde drei Tage lang von Rebellen beschossen. Es war ein Kampf von Haus zu Haus, von Zimmer zu Zimmer. Mein Freund sollte einen Posten weit vorne bemannen. Die Befehle waren kaum zu verstehen. Er ging vor unserem Trupp her. Ich sah, wie er einen Platz überquerte. Es war dunkel, und ich dachte, er wäre ein feindlicher Heckenschütze. Ich erschoss ihn.» Marshall zuckte die Schultern. «Nach diesem Tag schwor ich mir, niemals wieder eine Waffe anzufassen.»
Usuguk nickte langsam. Erneut senkte sich Schweigen auf das Schneehaus herab, durchbrochen nur vom Knistern des Feuers und dem klagenden Heulen des Blizzards draußen.
«Du hast ihn nicht ermordet», sagte der Schamane und öffnete die Augen.
Marshall starrte ihn überrascht an. «Du warst beim Militär?»
Usuguk ignorierte die Frage. «Es war kein Mord. Es war ein Unfall.»
«Meine Einheit hatte noch nie einen Kameraden durch freundliches Feuer verloren, durch Schüsse aus der eigenen Einheit. Man befahl mir, zu lügen, die Wahrheit zu verheimlichen. Als ich mich weigerte, sorgte mein kommandierender Offizier dafür, dass ich unehrenhaft entlassen wurde. Ich … ich musste seiner Frau die Nachricht von seinem Tod überbringen.»
Usuguk grunzte leise. Er glättete das vor ihm liegende Leder,griff in seinen Beutel und zog mehrere kleine Artefakte hervor, um sie wie Würfel zu werfen. Dann beugte er sich vor und untersuchte die Art und Weise, wie sie gefallen waren. «Du hast gesagt, du hättest geschworen, nie wieder eine Waffe anzufassen. Solch einen Schwur bricht man nicht ohne weiteres. Aber was ist jetzt? Was wirst du jetzt tun?»
Marshall atmete tief durch. «Wenn es dort draußen etwas gibt – irgendein Wesen, das wild entschlossen ist, uns alle zu töten – dann tue ich mein Bestes, um es vorher zu erwischen.»
Usuguk starrte ins Feuer. Dann hob er den Kopf und sah Marshall aus seinen rätselhaften, unerforschlichen Augen an. «Ich werde dich begleiten», sagte er. «Aber die einzigen Leben, die ich nehme, sind die, die erforderlich sind, um mein eigenes zu erhalten. Meine Tage als Jäger sind vorbei.»
Marshall nickte. «Dann werde ich für uns beide jagen.»
37
Penny Barbour hatte eigentlich sämtliche für die Expedition kritischen Daten mitnehmen wollen: ein Abbild des Netzwerks, die Datenbank mit den Neuzugängen und Proben, die Online-Laborjournale ihrer Kollegen. Am Ende hatte sie überhaupt nichts mitgenommen. Die beiden Soldaten, Marcelin und Phillips, waren trotz ihrer M-16 extrem nervös gewesen und hatten ihr keine Zeit gelassen. Barbour, Ang Chen und die vier anderen, die ihrer Gruppe zugeteilt worden waren, mussten ihre wärmsten Sachen anziehen und etwas mitnehmen, aus dem ihre Identität hervorging. Dann wurden sie zur Offiziersmesse geführt, wo man ihre Namenauf einer Liste abhakte. Von der Messe brachte man sie zum Bereitschaftsraum. Phillips ging vorneweg, Marcelin bildete den Abschluss. Sie bewegten sich rasch und in völliger Stille durch die Korridore und blieben vor jeder Ecke stehen, bis Phillips die vor ihnen liegenden Gänge ausgekundschaftet hatte. Sie erreichten die zentrale Treppe, schlichen hinauf und durchquerten die Eingangshalle – gespenstisch im nächtlichen Zwielicht gelegen – zur Wetterkammer. Die Kammer war ebenso überfüllt, wie der Rest der Basis verlassen war: Als sie die Tür öffneten, wandte sich ihnen ein Meer angespannter Gesichter zu.
Gonzalez stand ganz vorn. Er hatte einen Handwagen voll Waffen und Munition – genug für eine kleine Armee – und war damit beschäftigt, die Pistolen und Gewehre zu überprüfen. Er nickte Phillips und Marcelin zu, ließ den Schlitten der Pistole, die er zuletzt kontrolliert hatte, nach vorn schnappen und steckte die Waffe ins Halfter.
«Waren das die letzten?», fragte er.
«Jawohl, Sir!», antwortete Marcelin. Er reichte dem Sergeant die Liste. Gonzalez kontrollierte die Namen, grunzte seine Billigung und legte die Liste zur Seite. Er warf einen Blick auf seine Uhr. «Noch fünf Minuten, bis Carradine fertig ist mit den Vorbereitungen.» Er drehte sich zur Gruppe um. «Alles herhören!», befahl er. «Ich möchte, dass Sie jetzt Ihre Schlechtwetterausrüstung anziehen. Wir teilen zusätzliche Handschuhe, Schals und Balaklavas aus – Sie finden sie in dieser Kiste. Wenn ich das
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