Nullpunkt
noch zu dritt.
Kari Ekbergs Blick ging zu den beiden Männern. Conti war fertig mit dem Begutachten des rohen Filmmaterials und nun fieberhaft damit beschäftigt, Notizen auf dem Klemmbrett zu verfassen, ohne das er nie anzutreffen war. Wolff hatte sich zwei großkalibrige Pistolen aus dem Militärvorrat geholt und spielte damit. Nach der Art und Weise zu urteilen, wie er mit dem Daumen Patronen in die Ersatzmagazine schob wie in einen überdimensionierten PE Z-Spender , wusste er, wie man mit Waffen umging.
Kari fühlte sich deswegen nicht viel besser. Im Gegenteil, sie war mehr und mehr von Zweifeln geplagt, ob ihre Entscheidung zu bleiben wirklich klug gewesen war. Loyalität gegenüber einem Projekt war eine Sache, Ehrgeiz eine andere,doch mitten in der eisigen Wildnis gestrandet zu sein mit einer Bestie, die nur auf Blutvergießen aus war, erschien ihr inzwischen zumindest fragwürdig.
Andererseits: Immerhin waren zwei der Wissenschaftler mitsamt ihren Daten und Proben geblieben. Logan hatte sich ebenfalls entschieden, bei ihnen zu bleiben. Und Marshall – Marshall war irgendwo dort draußen im Sturm unterwegs. Er würde ebenfalls zur Basis zurückkehren. Abgesehen davon waren auch die Soldaten noch da, kampferprobte Männer mit einem beeindruckenden Arsenal an Waffen, bereit, die Kreatur zu jagen und zu erlegen, sobald der Sattelzug mit den anderen erst losgefahren war. Sie sagte sich, dass ihre Chancen hier besser standen, im Warmen, Trocknen, als draußen auf dem Eis in einem Sattelzug.
Conti legte seinen Stift nieder, überflog die soeben verfassten Notizen und blickte dann hinauf zur Wanduhr. «Der Truck ist inzwischen wahrscheinlich losgefahren», sagte er. «Es ist Zeit.»
Wolff nahm die Pistolen herunter. «Zeit wofür?»
«Die Jagd zu filmen natürlich. Sie fängt jeden Moment an. Ich kann das Risiko nicht eingehen, sie zu verlieren.»
Wolff runzelte die Stirn. «Emilio, das kann nicht Ihr Ernst sein.»
Conti nahm die Videokamera hoch und kontrollierte die Einstellungen. «Ich hätte gerne die Abfahrt der anderen gefilmt, aber Gonzalez hätte mich vielleicht gezwungen einzusteigen. Aber wir können die Abfahrt auch jederzeit nachstellen.» Er legte die Kamera hin. «Die Jagd allerdings nicht. Sie kann nicht nachgestellt werden. Das ist der Moment, auf den wir gewartet haben, auf den alles hingeführt hat.»
«Das ist doch verrückt!» Die Worte waren heraus, bevor Kari Zeit hatte, zu überlegen.
Der Regisseur drehte sich zu ihr um. «Was wollen Sie damit sagen? Ich bleibe schön weit weg von den Soldaten. Ich beschatte sie, folge ihnen nach Gehör – sie werden gar nicht merken, dass ich da bin, bis die Action anfängt und es zu spät ist, etwas gegen meine Anwesenheit zu unternehmen.»
«Aber Sie begeben sich in Gefahr …», begann Kari.
«Glauben Sie vielleicht, wir wären hier sicherer? Ich persönlich bin lieber in der Nähe der Maschinengewehre.»
«Trotzdem, Kari hat recht», sagte Wolff. «Die Soldaten begeben sich mit voller Absicht in die Gefahr. Was bedeutet, dass Sie ebenfalls der Gefahr ausgesetzt sein werden.»
«Dann kommen Sie doch mit.» Conti nickte in Richtung von Wolffs großen Pistolen. «Nehmen Sie die mit. Es ist auf jeden Fall besser, wenn wir zusammenbleiben.»
Wolff antwortete nicht.
«Hören Sie», beschwor Conti ihn. «Wir sind hierhergekommen, um diese Kreatur zu filmen. Sehen Sie denn nicht, was für eine phantastische Gelegenheit uns geschenkt wurde? Das ist eine neue Story, eine viel größere, als wir je erwartet hätten. Erwarten Sie wirklich von mir, dass ich in dieser Messe sitzen bleibe und Däumchen drehe, während sich draußen die großartigste Szene meines Lebens – vielleicht die großartigste Szene
aller Zeiten
– keinen Steinwurf weit entfernt abspielt?»
Als niemand etwas erwiderte, erhob er sich und marschierte in der Messe auf und ab. «
Selbstverständlich
gibt es ein gewisses Maß an Gefahr. Genau das ist der Grund dafür, dass diese Dokumentation die aufregendste sein wird, die es jemals gegeben hat. Wir erleben die Ereignisse so, wie sie sich entfalten; das Rohmaterial ist rings um uns. Wir drei – Regisseur, Field Producer und Sender – wir
sind
die Dokumentation. Es ist eine Erfahrung, wie kein Film, sei es Spielfilm oder Dokumentation,sie bisher je vermittelt hat. Es ist organisch auf eine Weise, wie kein geskriptetes, nach Drehbuch verfasstes Projekt es jemals sein könnte. Verstehen Sie denn nicht? Wir erleben hier die
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