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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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war.
    Gonzalez winkte seinen Leuten einzutreten, dann folgte er ihnen. Der Transformatorraum war im selben Zustand, in dem sie ihn zurückgelassen hatten: Überall klebte Blut in phantastischen Bögen und Spritzern, auf dem Boden, den Plattformen, den Transformatoren. Es war ihnen gelungen, das Zugangspaneel zu dem nach draußen führenden Wartungs-Kriechgang zu verschließen, doch es war hier immer noch ungemütlich kalt.
    Gonzalez sah zu Marcelin herüber. Der Corporal vermied es, das Blut anzuschauen. Er sah ein wenig grün im Gesicht aus.
    «Corporal?», redete Gonzalez ihn über das Summen der Transformatoren hinweg an.
    Marcelins Blick zuckte zu Gonzalez. «Sir?»
    «Alles in Ordnung?»
    «Ja, Sir.»
    Gonzalez nickte. Ströme und Nebenströme aus Blut überall, Dutzende von Fußspuren zeichneten verzweifelte Linien,Zeichen des hektischen Kampfes, der sich vor weniger als einer Stunde hier ereignet hatte. Einige Spuren führten in den Gang hinaus und zurück in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren, zur Krankenstation. Eine weitere Serie von Fußabdrücken jedoch – wenn «Fußabdrücke» überhaupt das richtige Wort war – führte tiefer ins Innere der Basis hinein. Gonzalez zog seine Taschenlampe aus dem Halfter, schaltete sie ein und untersuchte die Abdrücke. Es waren riesige, verzerrte Rosetten mit großen Ballen. Jedem Ballen entsprang eine krumme, gefährlich aussehende spitze Klaue.
    Er starrte lange Zeit auf die blutige Fährte.
    Gonzalez betrachtete sich als einfachen Menschen mit wenigen Bedürfnissen und noch weniger Ansprüchen. Er hatte nie viel von der Gesellschaft anderer gehalten, und der einzige Stolz, den er kannte, war der Stolz, gute Arbeit zu leisten. Das war auch der Grund, warum er nie nach einer Beförderung gestrebt hatte, warum er nie das Verlangen gespürt hatte, über den Rang des Sergeants hinaus aufzusteigen. Sergeant, das war seine ideale Position: hoch genug, um seiner eigenen beschränkten Sicht der Dinge Nachdruck zu verleihen, doch nicht so hoch, als dass sie unerwünschte Verantwortung nach sich gezogen hätte. Es war auch der Grund, warum er der einzige Soldat war, der länger als achtzehn Monate auf Fear Base geblieben war. Tatsächlich war er inzwischen seit mehr als dreißig Jahren hier. Er würde den Ausdruck im Gesicht des Majors in Fort McNair nie vergessen, als er bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub im Anschluss an seine erste Dienstzeit auf Fear Base darum gebeten hatte, gleich wieder dorthin geschickt zu werden. Gonzalez hätte schon vor Jahren in den Ruhestand gehen können, doch er konnte sich nicht vorstellen, irgendetwas anderes im Lebenzu tun, als dafür zu sorgen, dass diese Anlage, eingemottet und längst vergessen, instand gehalten wurde. Gonzalez hatte keine Familie und nur wenige Besitztümer außer einer Bibel und dem großen Stapel von Kriminalromanen, die er an den langen Abenden wieder und wieder las, geordnet nach Titeln in alphabetischer Reihenfolge. Er hatte so viel Zeit allein mit sich und seinen Gedanken verbracht, dass er sich selbst längst seine bevorzugte Gesellschaft geworden war. Es war eine einfache Existenz, doch sie war wohlorganisiert, rational und vorhersehbar – ganz genau so, wie Gonzalez es am liebsten hatte.
    Einer der Gründe dafür, dass die blutigen Abdrücke im Lichtkegel seiner Taschenlampe ein so unangenehmes Gefühl von Unruhe in ihm auslösten.
    Creel riss ihn aus seinen Gedanken, indem er eine Granate in den Werfer seines M-4 lud. «Mein Onkel hat einmal eine Safari in Afrika gewonnen», sagte er. «Kein Witz. Erster Preis bei einer Tombola von Elks. Er hat einen Kaffernbüffel geschossen damals. Er hat noch jahrelang mit dieser verdammten Jagd geprahlt, das kann ich Ihnen sagen.»
    Das hier ist eine Jagd, mit der du später ganz bestimmt nicht prahlen darfst
, dachte Gonzalez. Er schaute zu seinen Männern hinüber. Phillips leuchtete mit seiner eigenen Taschenlampe über Boden und Wände. Der Lichtkegel tanzte über Blutflecken. Marcelin stand im Eingang und hielt den Kopf nach draußen in den Gang, den Kopf geneigt, so als lauschte er.
    «Sind wir so weit?», fragte Gonzalez.
    «Verdammt, und ob!», antwortete Creel. «Erledigen wir dieses Ding.»
    Sie traten nach draußen in den Gang. Phillips war wiederan der Spitze. Im Licht seiner Taschenlampe folgten sie den bestürzend großen, blutigen Spuren. Hin und wieder sahen sie einzelne Tropfen am Boden, die nicht durch die Spuren verursacht worden sein

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