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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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des Musée de Cluny wurde von einem Mann bewohnt, der der Polizei noch nie aufgefallen war. Er besaß dänische Papiere auf den Namen Jorgensen, war aber in Wahrheit ein Pole namens Jaworski, der nicht einmal wußte, daß die Anrufe, die ihn in unregelmäßigen Abständen erreichten, von der sowjetischen Botschaft kamen. Es war 21.50 Uhr, als ihn der letzte Anruf erreichte. Um 22 Uhr leitete er die Information weiter, als Vanek ihn erneut vom Gare du Nord aus anrief.
    Sie brachten Annette Devaud in ein Zimmer im vierten Stock des Gebäudes in der Rue des Saussaies, in dem Grelle sie schon erwartete. Er hätte Madame Devaud auch in der Präfektur auf der Ile de la Cité vernehmen können, aber er hielt es noch immer für klüger, die Fiktion aufrechtzuerhalten, daß es in dieser Sache noch um den Fall Lasalle gehe. Offiziell war die Sûreté federführend. Um Danchin nicht unnötig aufzuregen, hatte Grelle um zwanzig Uhr sogar dessen Referenten Merlin angerufen, um diesem mitzuteilen, daß eine Zeugin aus dem Elsaß nach Paris unterwegs sei, die er in der Rue des Saussaies vernehmen werde. Merlin hatte diesen Anruf dem Minister gegenüber erwähnt, bevor dieser mit dem Elysée telefonierte. Als Grelle endlich mit dem einzig überlebenden Zeugen aus der Résistancezeit des Leoparden, den er hatte greifen können, sprechen konnte, redete er einige Minuten auf Madame Devaud ein, um sie zu beruhigen. Dann erklärte er ihr, warum sie nach Paris gebracht worden war.
     »Und Sie glauben wirklich, den Leoparden nach all diesen Jahren identifizieren zu können?« fragte er sanft.
    »Wenn er - wie Sie sagen - noch am Leben ist: ja! Ich habe vor dreißig Jahren mein Augenlicht verloren und es erst wiederbekommen, als dieser Doktor es mir mit seiner wunderbaren Operation wiedergab. Was habe ich in all diesen Jahren wohl gesehen, als die Welt für mich nur aus Lauten und Gerüchen bestand? Was meinen Sie? Ich sah jeden Menschen vor mir, der mir je begegnet ist. Und, wie ich Ihnen schon gesagt habe, habe ich in dieser Zeit den Leoparden gesundgepflegt.«  Ihre Stimme wurde kaum hörbar. 
    »Und später zeigte sich, daß er für den Tod meiner einzigen Tochter verantwortlich war, für Lucies Tod …«
    Wie Grelle vorausgesehen hatte, war ihm schrecklich unwohl zumute. Obwohl Madame Devaud nichts davon ahnte - und Boisseau hatte bei seinem Anruf aus Saverne ausdrücklich auf diesen Umstand aufmerksam gemacht -, so ließ sich doch nicht wegleugnen, daß der Präfekt der Mann war, der sich gezwungen gesehen hatte, Lucie Devaud zu erschießen. 
    »Es ist schon viele Jahre her«, erinnerte er Madame Devaud, »seit Sie den Leoparden zum letztenmal gesehen haben. Selbst wenn er noch am Leben sein sollte, könnte er sich so verändert haben, daß kein Mensch ihn wiedererkennt …«
    »Der Leopard nicht.« Ihr charaktervolles Kinn reckte sich in die Höhe. »Er hatte einen guten Knochenbau - wie ich. Knochen verändern sich nicht. Und Knochen kann man nicht verstekken …«
    Grelle war so fest entschlossen, die alte Dame zu testen, daß er eine nur selten angewandte Identifizierungsmethode gewählt hatte. Er hatte nicht vergessen, daß Boisseau am Telefon erwähnt hatte, sie sei Amateurmalerin, und die ›Identikit‹-Ausrü... stung in sein Büro bringen lassen. Er erklärte ihr, wie das System funktioniere, fragte sie, ob sie etwas zu trinken wünsche. Sie bat um einen Cognac. Das amüsierte ihn so, daß er sich auch einen einschenkte. Bei den ersten Handgriffen mit dem Identikit half er ihr, dann ließ er sie allein weitermachen.
    Das neue Spiel machte ihr offensichtlich Spaß.
    Sie fing mit den Umrissen des Kopfes an und baute dann nach und nach das Gesicht eines Mannes auf. Erst kam das Haar-Stück. Grelle öffnete einige Kartons mit gedruckten Haarteilen und half ihr, mehrere auszusuchen. Schon bald kam... es zu Meinungsverschiedenheiten. 
    »Das haben Sie falsch gemacht«, sagte sie ärgerlich. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er sein Haar über der Stirn hochgebürstet trug …« 
    Das Gesicht nahm allmählich Gestalt an. Die Augenbrauen fand sie schnell, aber die Augen machten ihr Mühe. 
    »Die Augen waren ungewöhnlich - sie schlugen einen in ihren Bann«, erklärte sie. Sie fand die Augen am... hinteren Ende des Stapels und machte sich dann an die Arbeit mit der Nase. 
    »Nasen sind schwierig …« Sie wählte eine Nase aus und fügte sie dem Porträt hinzu. »Das ist die Nase. Ich glaube, sie ist das auffallendste

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