Nullzeit
blickte nach links und nach rechts. Die Straße war leer. Außer einem einsamen Taxi, das aus der Richtung des Place Beauvau kam, war nichts zu sehen. Boisseau hob die Hand, um anzudeuten, daß man Madame Devaud noch nicht auf die Straße bringen solle. Er wartete. Neben ihm auf dem Bürgersteig standen zwei Gendarmen. Im Streifenwagen saß ein Beamter am Steuer und ließ den Motor laufen. Grelle hatte sich im letzten Moment entschlossen, Madame Devaud nur mit einem Wagen in ein Hotel bringen zu lassen, in dem die Sûreté öfter wichtige Zeugen einquartierte; ein einzelner Wagen fällt weniger auf als eine Autokolonne. Außerdem würde er zu dieser späten Stunde, wenn die Pariser Straßen leer waren, sehr schnell fahren können. Grelle stand mit Madame Devaud und drei Beamten im Hauseingang, um die alte Dame persönlich zu verabschieden. Das Taxi fuhr jetzt langsam auf den Eingang zu. Boisseau bemerkte, daß das ›Frei‹-Schild zurückgeklappt war. Soweit er sehen konnte, saß niemand im Fond; der Fahrer hatte wahrscheinlich seine Schicht beendet und fuhr nach Hause. Das Taxi fuhr vorüber, und der Fahrer nahm eine Hand vom Lenkrad, um ein Gähnen zu unterdrücken.
Boisseau sah die Rücklichter des Taxis verschwinden und machte eine auffordernde Handbewegung. Die kleine Prozession trat aus dem Hauseingang heraus. Die drei Beamten hatten Madame Devaud in die Mitte genommen und paßten sich ihren Schritten an. Sie erreichten den Bürgersteig. Im Hauseingang stand Grelle und zündete sich eine Zigarette an; er hatte sich ein Walkie-talkie unter den Arm geklemmt. Er würde mit dem mit Funk ausgerüsteten Streifenwagen in Verbindung bleiben, bis er seinen Bestimmungsort im VII. Arrondissement erreicht hatte.
Madame Devaud hatte den Bürgersteig überquert und war jetzt im Begriff einzusteigen.
»Keine Sorge - wir haben nur wenige Minuten zu fahren«, versicherte ihr Boisseau.
»Sagen Sie ihm, er soll nicht zu schnell fahren. Die Fahrt vom Gare de l’Est hierher hat mir gar nicht gefallen.«
»Ich werd’s ihm sagen. Es sind wirklich nur ein paar Minuten«, wiederholte Boisseau.
Vanek, der sich die Mütze des Taxifahrers aufgesetzt hatte - er hielt sehr viel davon, sein Aussehen durch Kopfbedeckungen zu verändern -, erreichte den Place des Saussaies. Der Platz ist nur einen Steinwurf vom Eingang zur Sûreté entfernt und beginnt an der nächsten Straßenecke. Er war in unregelmäßigen Abständen am Eingang vorbeigefahren
- diese Abkürzung wird nachts von vielen Taxifahrern benutzt - und hatte das Gebäude mehrmals umrundet. Jetzt wendete er rasch und fuhr die Einbahnstraße in der verkehrten Richtung hinunter. Boisseau half Madame Devaud gerade in den Wagen, als er das Taxi mit hoher Geschwindigkeit heranbrausen sah. Er rief eine Warnung, aber das Taxi kam im denkbar unglücklichsten Moment an - die Gruppe, die eng zusammenstand, bot eine hervorragende Zielscheibe.
Vanek hielt das Lenkrad mit einer Hand, während er die Maschinenpistole fest unter den rechten Arm klemmte. Sein Zeigefinger lag am Abzug. Er hatte die Waffe auf automatisches Feuern eingestellt und jagte jetzt eine Salve los. Den Lauf hielt er starr, so daß die Bewegung des Taxis den Feuerstoß verteilte. Als Vanek vorbeifuhr, hatte er das gesamte Magazin geleert. Er fuhr noch immer in die verkehrte Richtung und verschwand in Richtung Place Beauvau.
Grelle, der im Hauseingang gestanden hatte, war der einzige, der überhaupt zurückgeschossen hatte; ein Revolverschuß zertrümmerte die Heckscheibe des Taxis. Dann schaltete er sein Walkie-talkie ein, das ihn sofort mit der Funkleitstelle verband. Dort war bereits alles für die Autokolonne des Präsidenten am folgenden Tag vorbereitet. Die Beschreibung des Taxis, die Grelle durchgab, einschließlich der zertrümmerten Heckscheibe, wurde innerhalb einer Minute an sämtliche Streifenwagen im Umkreis von acht Kilometern weitergegeben. Grelle hatte auch die Richtung genannt, in die das Taxi verschwunden war.
Erst danach wandte er sich der tragischen Szene auf dem Bürgersteig zu.
Die beiden Gendarmen waren ein Stück hinter dem Taxi hergerannt. Boisseau, der durch die offene Wagentür geschützt worden war, war unverletzt davongekommen, aber die drei Beamten lagen reglos auf dem Pflaster. Zwei von ihnen stöhnten und keuchten, der dritte gab keinen Laut von sich. Sie mußten die beiden Männer vorsichtig hochheben, um an Madame Devaud heranzukommen, die mit dem Gesicht nach unten lag. Als sie
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