Nullzeit
tun würde, wenn ich dem Präsidenten nach dem Leben trachtete. Ich glaube nicht, daß irgend jemand den Sicherheitskordon aufbrechen kann.«
»Vielleicht könnte ich es«, sagte Blanc leise. »Diese Sache muß unter uns bleiben - nur so können wir sicherstellen, daß sie für immer ein Geheimnis bleibt. Wenn ich mir eine Pistole einsteckte - beim Abschied auf dem Rollfeld mit den anderen Ministern, bevor er an Bord der Concorde geht …«
»Unmöglich!« Grelle verwarf den Gedanken mit einer abschätzigen Handbewegung. »Jeder würde sich fragen, warum ausgerechnet Sie dazu kämen. Und ich habe den Leibwächtern eingeschärft, daß jeder, der einen Revolver zieht - auch ein Minister -, auf der Stelle zu erschießen ist.« Er blieb vor Blancs Sessel stehen. »Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, habe ich ihnen sogar gesagt, daß sie selbst mich erschießen müßten, falls ich eine Waffe ziehen sollte.«
»Dann ist es nicht zu schaffen …«
»Nur ein Mann kann es schaffen.«
»Wer ist das?«
»Der Mann, der die Sicherheitsvorkehrungen geplant hat. Ich selbst.« Bevor er in sein Ministerium in der Rue Saint-Dominique zurückkehrte, unternahm Blanc noch zwei vergebliche Versuche, zu Florian vorzudringen, um ihn zu sprechen. Als er von Grelles Wohnung aus im Elysée-Palast anrief, sagte die Telefonistin, der Präsident dürfe auf keinen Fall gestört werden, ›es sei denn im Fall eines Weltkriegs‹.
Daraufhin fuhr Blanc durch die Nacht zum Elysée. Das schmiedeeiserne Gitter, das sonst immer geöffnet war, war geschlossen. Gewöhnlich war die Einfahrt nur durch eine einfache weiße Kette gesichert. Der Innenhof war abgeriegelt. Blanc lehnte sich aus dem Wagenfenster.
»Machen Sie sofort auf«, befahl er. »Sie wissen doch, wer ich bin, um Gottes willen …«
Der diensthabende Offizier trat heraus, um sein Bedauern über die Maßnahme auszusprechen, blieb jedoch fest. »Der Präsident hat diese Anweisung selbst erteilt. Heute nacht darf niemand mehr eingelassen werden - es sei denn …«
»Es bricht plötzlich der dritte Weltkrieg aus. Ich weiß!« Blanc sprang aus dem Wagen, schob den Offizier zur Seite und betrat den Hof durch den Seiteneingang. Er lief über den gepflasterten Innenhof und nahm die sieben Treppenstufen zum Eingang mit wenigen Sätzen. Die hohen Glastüren waren verschlossen. In der Halle stand ein anderer Beamter, der Blanc ebenfalls gut kannte. Er schüttelte den Kopf und kreuzte die Arme mehrmals vor der Brust. Blanc, der eben noch aschfahl gewesen war, blieb jetzt still stehen und zündete sich eine Zigarette an. Die Geste des Mannes dort drinnen hatte ihm die Entscheidung eingegeben. Es war eine simple Handlung eines völlig unbedeutenden kleinen Beamten, machte Blanc aber blitzartig seine Lage klar. Der Präsident hatte sich in seiner Festung verschanzt, bis es am nächsten Morgen Zeit war, nach Rußland zu fliegen.
Nach der Rückkehr in sein Ministerium ging Blanc sofort in den Notbefehlsstand. »Holen Sie General Lamartine her«, befahl er. »Sagen Sie ihm, er soll sich nicht anziehen - in fünf Minuten will ich ihn hier sehen…«
Die sieben uniformierten Offiziere hatten bei Blancs Ankunft eine kleine Meinungsverschiedenheit gehabt, aber in wenigen Minuten, in denen er auf die Ankunft des Oberbefehlshabers, General Lamartine, warten mußte, entschärfte sein eiskaltes Gebaren die Spannung. Lamartine erschien mit mürrischem Gesicht. Über seinen Morgenmantel hatte er nur einen Mantel geworfen.
»Sie sehen aus wie ein Mandarin mit diesen aufgestickten Drachen auf dem Morgenmantel«, bemerkte Blanc. »Ich bin dabei, bestimmte Anweisungen zu geben, und es kann sein, daß Sie sie mit der Autorität Ihres Amts bestätigen müssen. Ich werde Ihnen später alles erklären - wir haben einen kleinen Notfall, und der Präsident hat Befehl gegeben, auf keinen Fall gestört zu werden. Sehr vernünftig - er hat morgen eine lange Reise vor sich. Also …«
Dies war der alte Alain Blanc, der Mann, der Guy Florians Aufstieg zur Macht geplant und organisiert hatte, der in jeder Krise die Nerven behalten hatte. Gemeinsam mit Lamartine ging er Schritt für Schritt vor. Er informierte den unterirdischen Befehlsbunker in Taverny außerhalb von Paris - der darauf eingerichtet war, selbst im Fall eines Atomkrieges einsatzfähig zu bleiben -, daß das Oberkommando keinen Befehl, von wem er auch komme, ohne seine, Blancs, Bestätigung befolgen dürfe. »Von wem er auch
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