Nullzeit
sein.«
»Unmöglich«, stimmte Grelle zu. »Allerdings hat sein Bruder Charles, der älter war, ihm aber sehr ähnlich sah, ebenfalls in der Comet Line gedient. Wenn Charles sich nun einverstanden erklärt hat, den Doppelgänger von Guy Florian zu spielen - vergessen Sie nicht, diese Fluchtrouten waren geheimnisumwittert, und die Fluchthelfer traten nur selten in Erscheinung …«
»Ich habe nicht gewußt, daß er einen Bruder hatte.« »Der ist auch schon längst tot. Im Juli 1945 schwamm
Charles wie so oft in den Atlantik hinaus, kam aber nicht zurück. Seine Leiche wurde zwei Wochen später an Land gespült.«
»Ich verstehe …« Boisseau sog an seiner Pfeife. »Damals sind viele jung gestorben; viele von ihnen hatten mit dem Leoparden Verbindung gehabt. Heute nachmittag habe ich den Bericht über die Männer bekommen, die ihn beerdigten, und über den Bestattungsunternehmer. Lyon hat schnell reagiert.«
»Das erinnert mich an etwas«, warf Grelle ein. »Wir fliegen morgen nach Lyon. Es gibt nur einen Weg, um den Widerspruch zwischen der Äußerung Gaston Martins, er habe den Leoparden gesehen, und dessen aktenkundigen Tod zu klären - wir müssen das Grab öffnen lassen. Ich habe selbst mit Hardy telefoniert, und er setzt alle Hebel in Bewegung, um die Exhumierung der Leiche genehmigt zu bekommen. Nun, wie steht es mit den Männern, die den Leoparden beerdigt haben?«
»Alle tot. Sie wurden vier Tage nach der Beisetzung bei einem feindlichen Feuerüberfall erschossen. Ihre Leichen waren mit Mauser-Patronen gespickt.«
»Verdammt viele Mausers in allerlei Händen, das muß ich sagen«, bemerkte Grelle. »Und der Priester?« »Es war kein Priester anwesend - der Leopard war Atheist…«
»Natürlich. Und der Bestattungsunternehmer?«
»Bekam am Morgen nach der Beerdigung eine Kugel in den Kopf. Irgendein Unbekannter brach in sein Haus ein. Und da war noch etwas Seltsames«, fuhr Boisseau fort. »Ein junger kommunistischer Bildhauer, der für diese Résistance-Gruppe gearbeitet hatte, wollte etwas tun, um seinen geliebten Anführer zu verewigen. Er fertigte also eine Statue an, die sechs Monate später an der Grabstätte aufgestellt wurde. Soviel ich weiß, steht sie noch immer da, mitten im Wald. Es ist die Statue eines Leoparden, eines Leoparden aus Stein.«
8
Am 16. Dezember überschritt das sowjetische Kommando die tschechisch-österreichische Grenze. Sie kamen über die verschlafene Grenzstation von Gmünd nach Niederösterreich, dort, wo tschechische Kontrolltürme sich wie Galgen in der Landschaft erheben. Sie kamen kurz vor neun Uhr morgens an und zeigten ihre französischen Pässe vor.
Der übermüdete österreichische Grenzbeamte - er hatte Nachtdienst gehabt und sollte gleich abgelöst werden - war bereits auf ihrer Seite. Er hatte wenige Minuten zuvor gesehen, wie seine Kollegen auf der tschechischen Seite die drei Touristen einer gründlichen Untersuchung unterzogen hatten. Der klapprige alte Peugeot war nach allen Regeln der Kunst durchsucht worden, während die drei Männer auf der Straße standen. Ihre Reisepässe waren gründlich unter die Lupe genommen worden. Jeder, der kein Freund der Tschechen war, mußte in Österreich willkommen sein. Der österreichische Grenzbeamte konnte nicht wissen, daß Vanek zuvor selbst die tschechische Grenzstation angerufen hatte, um diese Scharade zu arrangieren; er konnte ebenfalls nicht wissen, daß die Ankunft der drei Männer so geplant worden war, daß sie mit den letzten Minuten seines Nachtdienstes zusammenfiel. Von einem erschöpften Grenzbeamten ist kaum anzunehmen, daß er sich Neuankömmlinge mit großem Interesse vornimmt.
»Unsere Papiere sind narrensicher«, hatte Vanek seinen beiden Begleitern erklärt, »aber wer in diesem Leben Erfolg haben will, sollte sämtliche Karten zu seinen Gunsten zinken …«
Der österreichische Beamte drückte seinen Stempel in die französischen Pässe, der Schlagbaum ging hoch, und der Peugeot mit Vanek hinter dem Lenkrad fuhr über die Grenze in die engen Straßen der österreichischen Kleinstadt. Wenn der verschlafene Grenzbeamte überhaupt einen Gedanken an die drei Männer verschwendete, mußte er sie für französische Touristen gehalten haben, die gerade von einem Skiurlaub zurückkehrten. Diese Schlußfolgerung lag nahe: Vanek und Brunner, die vorn saßen, und der im Fond sitzende Lansky trugen alle französische Skikleidung. Der Österreicher stapfte sich den Schnee von den
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