Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Wasserflaschen zurück. Eine reichte er Tony, die anderen stellte er auf den gläsernen Kaffeetisch. Dann setzte er sich wieder.
»Danke«, sagte Tony.
»Gern geschehen«, antwortete Farouz. »Sie hätten es schon früher bekommen müssen«, fügte er hinzu und warf dem anderen Mann, der eine verächtliche Grimasse schnitt, einen wütenden Blick zu.
Das fiel mir auf. Ich meine, dass er nett zu uns war. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, wie der andere Pirat hinter Farouz’ Rücken eine Grimasse geschnitten hatte. Falls sie einmal untereinander kämpften, waren solche Konflikte vielleicht von Vorteil für uns. Ich glaube, die Tatsache, dass ich auf diese Weise und derart strategisch nachdenken konnte, bewies doch nur, in welcher Verfassung ich mich befand.
Einerseits hatte ich zweifellos einen Schock, andererseits war meine Wahrnehmung übersteigert. Die Wände schienen zu pulsieren, als wären sie lebendig. Keine Einzelheit entging mir – die Pinselführung der originalen englischen Aquarelle an den Wänden, die Flecken im beigefarbenen Teppich. Es war, als hätte jemand den ganzen Raum unter Wasser erstarren lassen und als wirke das Wasser wie ein Vergrößerungsglas, während es die Geräusche gespenstisch dämpfte.
»Wie lange wollen Sie uns hier festhalten?«, fragte die Stiefmutter.
Farouz schien überrascht.
»Hier in diesem Raum? Keine Ahnung. Eine Stunde vielleicht. Wir durchsuchen nur das Boot. Danach dürfen Sie sich frei bewegen.«
»Wir können gehen, wohin wir wollen?«, fragte die Stiefmutter.
»Warum nich t ? Es gibt überall Wachen, also können Sie nicht fliehen. Auf dem Boot dürfen Sie sich frei bewegen. Sie werden aber alle zusammen in diesem Raum schlafen. In Ordnung?«
»In Ordnung«, bestätigte Tony, der offenbar Autorität zeigen wollte, was Farouz allerdings herzlich gleichgültig war, sofern ich seiner Miene trauen konnte.
Danach schwiegen wir eine ganze Weile. Schließlich kehrte Ahmed zurück, Dad folgte ihm. Ahmed hatte einige Stapel mit Banknoten mitgebracht und lächelte. Einen Packen warf er Farouz zu und lachte dabei. Dann machte er eine Geste mit abgespreiztem Daumen, worauf der andere Mann hinausging.
Der Mann mit den toten Augen sagte noch etwas in seiner Sprache, die aus harten Kehllauten und erstickten L-Lauten zu bestehen schien, als wolle der Sprecher jeden zweiten Buchstaben verschlucken wie einen Bissen Nahrung. Dann stieß er ein langes und hartes Lachen aus und verschwand.
»Was war das?«, fragte die Stiefmutter. »Was hat er gesag t ?«
»Nichts«, antwortete Farouz.
Und ich dachte: Er ist der mit der Waffe. Er gibt sich nicht einmal Mühe, gut zu lügen.
9 Trotz alledem geschah nichts sonderlich Beängstigendes. Farouz hielt Wort und erlaubte uns am Nachmittag, das Kino zu verlassen.
Wir gingen hinaus und versammelten uns auf dem hinteren Deck. Ich glaube, wir wollten alle ins Sonnenlicht, auch wenn uns das gar nicht richtig zu Bewusstsein kam. Mittlerweile hatten auf der Jacht seltsame Veränderungen stattgefunden. Ein Pirat trug mein Superdry-Hoodie. Auch die anderen hatten sich neue Sachen zugelegt – Jeans, Sportschuhe, sogar einen Regenmantel. Einer trug einen Parka, den die Stiefmutter für Patagonien eingepackt hatte, wo wir in sechs Monaten an Land gehen wollten. Irgendwie war es lächerlich und gar nicht mehr beängstigend, einen Piraten auf einer Luxusjacht bei fünfunddreißig Grad im Parka herumlaufen zu sehen.
Dann erinnerte ich mich an das Smartphone und das Video und fand die Situation überhaupt nicht mehr lustig.
Inzwischen war es einfacher, die Stärke der Piratenbande einzuschätzen. Abgesehen von Ahmed, Farouz und Totauge begegneten wir auf dem Flur, als wir zum hinteren Deck gingen, zwei weiteren Wächtern. Draußen auf Deck standen drei in der Nähe der Tauchplattform, und vorn auf der Jacht hielten sich vermutlich noch einige weitere Männer auf. Es waren also mindestens zehn Piraten für uns sechs Geiseln. Kein Wunder, dass sie sich keine Sorgen machten, wir könnten entkommen.
Mit Ausnahme von Farouz hatten alle Piraten auf der Jacht Bärte, und die meisten besaßen Maschinengewehre. Nur Farouz führte eine Pistole an einem Bindfaden mit sich, und ein dürrer Kerl schleppte eine Bazooka oder einen Raketenwerfer oder so etwas mit sich herum. Das Ding war anscheinend schwer, aber er trug es trotz seines schmächtigen Körperbaus mühelos über der Schulter. Abgesehen von den Kleidungsstücken hatten die Männer noch
Weitere Kostenlose Bücher