Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nummer Drei: Thriller (German Edition)

Nummer Drei: Thriller (German Edition)

Titel: Nummer Drei: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Lake
Vom Netzwerk:
beobachten.
    »Fahren Sie jetzt gleich?«, fragte Mom.
    »Nein«, antwortete der Junge, der etwa zehn war. Er war niedlich, hatte Sommersprossen und immer ein Lexikon oder ein anderes dickes Buch in der Hand. »Zuerst essen wir zu Abend«, erklärte er. »Die Schildkrötenbeobachtung fängt erst um Mitternacht an. Das ist die beste Zeit.«
    »Wie lange geht das denn?«, erkundigte ich mich.
    Der Junge hob die Schultern.
    »Bis wir eine sehen.«
    »Bis drei Uhr«, erklärte die Mutter. »Wenn wir bis dahin keine gesichtet haben, geben wir’s auf.«
    »Wir müssen uns merken, wo sie die Eier vergraben«, sagte der Junge. »Dann können die Helfer sie ausgraben und an einen sicheren Ort bringen, damit die Kleinen ungefährdet schlüpfen. Sonst stehlen Räuber die Eier.«
    »In der chinesischen Medizin gelten sie als wertvoll«, fügte die Mutter hinzu, die Piercings in den Ohren und einen kleinen Buddha an der Innenseite des Arms eintätowiert hatte.
    Mom sah mich an.
    »Wir verzichten lieber«, antwortete sie. »Aber es macht bestimmt Spaß.«
    In Wirklichkeit wollte sie sagen: Es klingt einfach schrecklich, und ich äße lieber mein eigenes Erbrochenes, als bis drei Uhr morgens am Strand herumzusitzen und nichts zu tun zu haben. Mom interessierte sich für Physik und Sterne. Wenn es um Tiere ging, brachte sie nicht viel Geduld auf. Sie sprach immer über die verrückten Briten, die Altersheime für Esel einrichteten, während viele Menschen Not litten. Darüber konnte sie sich gehörig aufregen. Ich sagte der Frau und ihrem Jungen, dass es bestimmt schön würde, aber wir würden lieber essen gehen. Ich wollte so rasch wie möglich mit meiner Mom verschwinden, ehe sie etwas Peinliches sagen konnte – etwa dass es Zeitverschwendung sei, Schildkröteneier auszugraben, während in Bagdad Menschen in die Luft gejagt wurden.
    Nachdem wir erklärt hatten, wir wollten zum Abendessen ausgehen, mussten wir es auch tun. Wir schlenderten den Strand entlang zu dem Restaurant, in dem wir schon einmal gewesen waren. Daher wussten wir, dass es dort einen ganz ausgezeichneten Puerco Pibil gab, das ist lange gekochter Schweinebauch, der in Palmblättern serviert wird. Von unserem Tisch aus sahen wir aufs Meer und gruben die Füße in den Sand. Wir aßen zu Abend, und Mom genehmigte mir sogar zwei Flaschen Corona. Auf den Rändern der Gläser steckten Zitronenkeile, und Wasserperlen glitzerten an den Seiten. An dem warmen Abend schmeckte das Bier angenehm kühl.
    Hoch droben legten die Sterne eine helle Decke über den Himmel. Nicht so prächtig wie in Somalia, aber immer noch sehr beeindruckend, und natürlich war ich damals noch nicht in Somalia gewesen, also hatte ich keine Vergleichsmöglichkeit. Kaum hatten wir uns gesetzt, deutete Mom nach oben.
    »Achte auf die Stelle dort! Dort sind die Perseiden.«
    »Warum?«
    »Pass nur auf!«
    Während des ganzen Abends blickte ich immer wieder zu der Stelle hinauf, die Mom mir gezeigt hatte, und fragte mich, was ich dort zu sehen bekäme. Als ich das zweite Bier fast ausgetrunken hatte, geschah es dann: Unvermittelt wie bei einem Feuerwerk flog ein brennender Komet vorüber. Dann ein weiterer und noch einer. Flackernde weiße Punkte schossen schräg über den Himmel.
    »Sternschnuppen!«, rief ich.
    »Genau genommen sind es Meteoriten«, erklärte Mom. »Die Mayas haben die Zeit mithilfe der Sterne gemessen. So wussten sie, wann sie pflanzen und wie sie ihre Gebäude ausrichten mussten.«
    »Na gut«, sagte ich.
    »Die prähistorischen Einwohner Europas haben es genauso gemacht«, fuhr Mom fort.
    »Ja. Stonehenge. Da geht bei der Tagundnachtgleiche im Sommer die Sonne genau im Eingang auf.«
    »Bei der Sommersonnenwende«, berichtigte Mom mich.
    »Oh, na gut.«
    »Aber das ist noch nicht alles.« Moms Blick schweifte in die Ferne. »Wusstest du, dass der Stier im Neolithikum genau dort unterging, wo zur Frühlingstagundnachtgleiche die Sonne versank?«
    »Nein«, antwortete ich. Ich verstand nicht viel von Moms Fachgebieten. Sie hatte drei Doktortitel. Dad sagte, sie sei der klügste Mensch, dem er je begegnet sei, und dabei war er selbst verdammt klug. Er hatte beim MIT etwas Kompliziertes mit Wettermodellen gemacht und dadurch den Job bei der Bank bekommen.
    »Ja«, meinte Mom. »So ist es. Die Sonne ging genau an diesem einen Tag im Jahr genau an dieser Stelle im Stier unter. Viele Leute vermuten, damit hätten die Stieropfer begonnen. Die Menschen wurden Zeugen, wie die Sonne einen

Weitere Kostenlose Bücher