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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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und der Lärm des nahe gelegenen Piccadilly Circus hatte sich trotz der späten Stunde noch nicht gelegt. Ich zog meinen Mantel eng um mich und stellte mich an die Bordsteinkante, um nach einem Taxi zu winken, das auf der Suche nach einem späten Fahrgast vorbeikam. Heute Nacht war natürlich keines zu finden. In der kalten Luft wurde mir erst klar, wie müde und betrunken ich war. Ich wollte unbedingt nach Hause, in die Ruhe meines Zimmers, in das Haus meines Vaters, das mir Zuflucht gewährte.
    Scheinwerfer blendeten auf und tauchten mich in ihren hellen Kegel. Ich hob die Hand und winkte, worauf der Fahrer noch einmal richtig aufblendete. Ich konnte nichts mehr sehen und schützte mit der Hand meine Augen. Endlich hatte ich ein Taxi gefunden. Ich trat vom Bordstein herab und wartete, dass der Wagen neben mir hielt.
    Der Motor heulte auf, als der Fahrer aufs Gas stieg. »Mach mal langsam, Junge«, murmelte ich noch. Ich sah zu dem Wagen, der viel zu schnell auf mich zukam. Direkt auf mich zu.
    Verwirrt trat ich einen Schritt zurück. Vom Scheinwerferlicht geblendet schwankte ich auf meinen zu hohen Absätzen und stieß gegen den Laternenpfahl hinter mir. Ich konnte schon das Benzin riechen, da glitt ich aus und verlor das Gleichgewicht. Ich fiel auf den ekligen Benzingeruch zu. Erschrocken schrie ich auf. Gleich würde ich unter den Rädern landen, Rädern, die sich gnadenlos auf mich zubewegten.
    »Ich hab dich.«
    Ein Arm griff nach dem meinen und zog mich schnell nach hinten. Charlie - Charlie hielt mich, und ich klammerte mich an ihn, während der Wagen laut röhrend an uns vorbeischoss. Mit quietschenden Reifen bog er um die Ecke. Ich starrte ihm nach, während ich gleichzeitig spürte, wie Charlies Siegelring sich in mein Fleisch presste. Als er mich losließ, zeichneten sich seine Finger deutlich auf meiner Haut ab.
    »Diese verdammten jungen Raser«, schimpfte er. Zum ersten Mal sah ich, wie ihm das stets glatte graue Haar strähnig ins Gesicht hing. Wütend strich er es zurück, während er mich, die ihn verwirrt gewähren ließ, zu seinem silbernen Alfa schob. »Komm. Ich bringe dich nach Hause.«
    »Dieser Wagen … ich glaube, er fuhr direkt auf mich zu.«
    »Blödsinn.« Er verstaute mich auf dem niedrigen Sitz. »Du bist total blau. Das war nur einer von diesen Jungs, die mit ihrer schnellen Karre angeben wollen.«
    Die Lichter Londons zogen an uns vorbei. Der Buckingham-Palast sah aus wie eine übergroße Puppenstube, und die Straße, die rundherum führte, wie eine Rollschuhbahn. Big Ben aber zeigte sich im silbernen Mondlicht Ehrfurcht gebietend wie immer. Einen Augenblick fühlte ich mich wie Peter Pan, als seine Silhouette sich vor Big Bens Uhrwerk abzeichnete, bevor er nach Neverland davonflog.
    Ich hörte mein Handy in der Tasche zu meinen Füßen klingeln. Doch noch bevor ich es herausgeholt hatte, hatte es aufgehört, und »Ein unbeantworteter Anruf« blinkte es mir auf dem Display entgegen.
    Allmählich ließ mein Herzklopfen nach, und ich fühlte mich wieder sicher. Wie in einem David-Gray-Video. Vor der Kälte geschützt saß ich in diesem Wagen wie in einem Ohrensessel. Der Alkohol hatte meinen Schmerz betäubt. Ruhig ließ ich mich nach Hause bringen - bis ich merkte, dass wir nicht zu mir nach Hause fuhren. Wir waren schon in Vauxhall, wo Charlies Penthouse-Wohnung lag.
    »Wenn man’s recht überlegt, habe ich wohl ziemlich viel getrunken, Liebes.« Er bleckte seine Wolfszähne zu einem Lächeln, während er mit einer Hand die Fernbedienung für das Sicherheitstor zur Tiefgarage hervorkramte. »Ich habe ganz vergessen, dass du in der Pampa wohnst. Komm doch noch auf einen Gute-Nacht-Trunk mit hoch, dann rufe ich dir von oben ein Taxi.«
    Im Aufzug zu seiner Wohnung rückte er ein wenig näher. Vielleicht lag es aber auch nur an dem leichten Ruckeln des hochglanzverspiegelten Liftes. Ich drückte mich in die Ecke und tat so, als würde ich mich ein bisschen zurechtmachen. Die Spiegel warfen mir kein sehr schmeichelhaftes Bild zurück: Ich hatte vom vielen Alkohol ganz kleine Augen und war auch sonst reichlich zerknittert. Als die Lifttür sich öffnete, rieb ich mir eine fuchsiarote Lippenstiftspur von der Wange. Charlie hielt sich eng hinter mir, als ich seine Wohnung betrat, als fürchte er, ich könne gleich ausbrechen.
    Neugierig sah ich mich um. Ich kannte ihn schon so lange, hatte aber nie gewusst, wie er wohnte. Es war so ungeheuer maskulin, so ganz und gar Junggesellenbude, dass

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