Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Mund.
»Entschuldigung, Miss.«
Ich blieb stehen.
»Wollen Sie etwas sehen?« Sorgfältig leckte er seine salzigen Finger ab.
»Klar doch«, lächelte ich wohlwollend. Mit kleinen Kindern konnte ich. Der Junge faltete die Chipstüte säuberlich zu einem kleinen Paket, das er in die Tasche seines Anoraks steckte. Aus der anderen zog er ein Pillendöschen, das grün und blau funkelte.
»Das ist aber hübsch«, sagte ich ermunternd. »Nicht wahr, Seb? Einen hübschen Schatz hast du da.«
Seb grinste höflich. Dann gingen wir weiter.
»Wollen Sie sehen, was drinnen ist?« Der Junge hatte eine Hautfarbe wie helles Karamell, die Wangen schimmerten braunrosa. Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
Der Junge sah mich voller Ernst an, so feierlich wie die Nacht. Dann hob er den Deckel des Pillendöschens ab und schob es mir unter die Nase.
»Oh«, entfuhr es mir, während sich meine Übelkeit von Neuem bemerkbar machte. Drinnen lagen drei lange, gelbliche Fingernägel.
»Wahnsinn«, meinte Seb, als er das Ganze in Augenschein nahm. »Wirklich beeindruckend.«
Ich schaffte es, mich nicht zu übergeben. »Sind das deine?«
Der kleine Satan nickte. »Jetzt schon. Früher haben sie Sanjit gehört. Er wollte sie nicht mehr und hat sie mir gegeben. Ich gab ihm dafür mein Wayne-Rooney-Poster. Den mag ich nämlich nicht mehr.«
»Aha«, sagte ich, ein wenig wacklig auf den Beinen. »Danke, dass du uns deinen Schatz gezeigt hast.«
»Dasistschonokay«, meinte er. Dann stopfte er das Döschen wieder in die Tasche und zog sich zum Schutz vor der Morgenkälte die Kapuze seines Pullis über, bevor er Richtung Southwark Cathedral verschwand. Seb grinste mich an. Zum ersten Mal an diesem Morgen fühlte ich mich wie ein Mensch.
»Verdammt noch mal!«
Als wir um die Ecke kamen, erlosch das Lächeln auf Sebs Gesicht schlagartig.
»Was ist los?« Ich folgte seinem Blick. Vor uns stand sein Auto mit zwei, drei, nein vier platten Reifen. Leise fluchte er.
»O Gott!« Einen Augenblick lang musste ich mich gegen die Mauer lehnen. »Alle vier«, flüsterte ich leise. »Das ist doch sicher kein Zufall.«
»Zufall?«, murmelte er düster und umrundete den Wagen. »Das ist doch Unsinn. Schau.« Er zeigte auf den Hinterreifen. Ein Stemmeisen lag im Rinnstein. Und aus einem anderen Reifen lachte uns der hellrote Griff eines kleinen Schraubenziehers an.
»Oh.«
»Diese verdammten Idioten.«
»Es tut mir so leid«, sagte ich hilflos. Ich starrte das Stemmeisen mit dem abgewetzten Holzgriff an.
»Ja, mir auch.« Plötzlich kam sein Midlands-Dialekt durch. Ernst betrachtete er die Bescherung und strich sich mit einer kurzen, ärgerlichen Bewegung über das Haar. So hatte ich Seb noch nie zuvor gesehen.
»Natürlich komme ich für die Reparatur auf.«
Ich wollte ja nur, dass er wieder lächelte.
»Maggie, Liebes. Diese Reifen kann man nicht mehr reparieren. Sie sind hinüber.«
»Nun … dann zahle ich eben die neuen Reifen.«
Er kam um den Wagen herum auf mich zu und zog mich sanft an sich.
»Wieso willst du dafür bezahlen? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?«
Ich spürte, wie meine Wangen brannten. »Nein«, murmelte ich.
»Bist du etwa nachts aus dem Haus geschlichen und hast sie gemeuchelt? Bist du etwa ein heimlicher Reifentöter, Maggie?« Er grinste mich an. Endlich lachte er wieder. Vor Erleichterung wurden meine Knie weich.
»Nein, natürlich nicht.«
»Nun denn. Was soll das Ganze dann mit dir zu tun haben?«
»Ich weiß nicht. Ich dachte nur …«
»Wegen der Sprühereien, meinst du?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Nun ja, offensichtlich hat mich doch jemand ins Visier genommen. Es sieht so aus, als könnte die Person dich auch nicht besonders gut leiden.«
»Das stimmt.« Seb drückte meine Hand. »Aber schließlich sind wir ja zu zweit, nicht wahr?« Er ließ meine Hand los und suchte in der Tasche nach seinem Handy. »Entschuldige, aber ich muss mich darum kümmern.«
Ich sagte ihm nicht, dass ich das Stemmeisen erkannt hatte. Ich war sicher, dass es Alex gehörte. Dass er es gewöhnlich in einem Werkzeugkasten im Kofferraum seines alten Landrover aufbewahrte.
Zu Digbys großer Freude kamen wir bald zurück in die Wohnung, um auf den Abschleppwagen zu warten. Digby mochte den Tag nicht alleine verbringen. Obwohl Jenny regelmäßig mit ihm spazieren ging, wenn ich arbeitete, hatte ich ihm gegenüber immer ein schlechtes Gewissen. Seb bot an, mit ihm um den Block zu gehen,
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