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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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gelang mir nicht, meine miese Stimmung auf Dauer zu verbergen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag bat Alex mich, etwas auf dem Klavier zu spielen. Dies war der Moment, den ich gefürchtet hatte.
    »Ich kann nicht«, sagte ich steif und schnitt mit zitternder Hand unseren Weihnachtskuchen an. »Ich spiele nicht mehr.«
    Alex versuchte, die Arme um mich zu legen. »Aber ich sterbe vor Neugierde, dich spielen zu hören. Dein Vater sagt, du spielst großartig. Und dass er hofft, du fängst wieder an.«
    Es war also eine Verschwörung. Ärgerlich schüttelte ich seinen Arm ab. »Ich werde darauf nicht spielen, Alex. Du kannst es genauso gut gleich wieder abholen lassen. Überhaupt hättest du für mich nicht so viel Geld ausgeben sollen.« Ich ging und schürte das Kaminfeuer, nur damit ich ihn nicht ansehen musste. »Und wenn du mit meinem Vater gesprochen hast, was ganz offensichtlich der Fall ist, dann weißt du auch, warum ich kein Klavier mehr anrühre.«
    »Nein, das weiß ich nicht, Maggie. Wirklich nicht.« Er sah so verwirrt aus, dass ich mich schuldig fühlte. Aber ich konnte es ihm nicht erklären. Ich saß auf dem Hocker vor dem Kamin und zündete mir die erste von vielen Zigaretten an, obwohl ich das Rauchen ja eigentlich aufgeben wollte. Alex ging in die Küche und kam mit einem großen Glas Wein zurück. Aus einem Glas wurde eine ganze Flasche, und wir hatten einen schrecklichen Streit. Ich könne, so meinte er, einfach nicht loslassen, ich würde die Vergangenheit einfach ausblenden. Ich antwortete, dass ich gar nicht loslassen wolle, schon gar nicht, wenn ich mich dabei so betrinken müsse wie er. Obwohl ich selbst ganz schön betrunken war.
    Dann brachte Alex die Rede auf meinen Job, auf die Show, die ich vor Monaten mit seinem Vater gemacht hatte. Er meinte, ich habe es gerade nötig, hier den Moralapostel zu spielen, wo ich doch selbst keinerlei irgendwie geartete moralische Bedenken hätte. Ich antwortete, dass das Blödsinn sei, schließlich wolle ich den Leuten nur helfen. Daraufhin warf er mir an den Kopf, dass ich ja wohl »verdammt naiv« sein müsse, wenn ich das wirklich glaube. Und dass ich vor allem nicht versuchen solle, andere Menschen zu ändern, vor allem nicht ihn selbst. Dann ging ich zu Bett, zum ersten, aber nicht zum letzten Mal allein, seit wir zusammen waren. Ich weinte mir die Augen aus dem Kopf.
    Am Morgen brachte Alex mir frischen Kaffee und verbrannten Toast ans Bett - auch dies zum ersten, aber definitiv auch zum letzten Mal. Er streichelte wortlos mein Haar, und ich verlor kein Wort mehr darüber, wie betrunken er am Vorabend gewesen war. Er wiederum sagte nichts über meinen Job. Vor dem Feuer las ich ein Buch, das ich zu Weihnachten bekommen hatte, über die Küchenchefs der Königshäuser, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.
    Nachts hatte es geschneit, draußen war alles weiß, rund und glatt wie die Glasur auf dem Weihnachtskuchen, den ich schon vor Wochen gebacken hatte. Die harten Kanten waren verschwunden. Alles war wie verzaubert, die raue Wirklichkeit verschwand darunter: die nackten Bäume und kargen Sträucher der dunklen Wintermitte. Mendelssohn lag auf dem Plattenteller, im Garten jagte Digby seinem Schwanz hinterher. Als Alex hereinkam, brachte er die kalte Winterluft mit. Trotz seines dicken Pullis schien er zu frieren. Die Schneeflocken schmolzen auf der Wolle, gegen die ich jetzt meine Stirn presste. Eine hatte sich auf seine Nase gesetzt, und ich wischte sie zärtlich weg, schlang meine Arme um ihn, um ihn zu wärmen.
    »Ich mag diese Musik«, sagte Alex ruhig. »Ich kann mir gut vorstellen, wie du sie spielst.« Er sah ungeheuer traurig aus, als er sich zu mir beugte, um mich zu küssen. Der Kuss war einfach unbeschreiblich. Wie von einem Ertrinkenden, der ums Überleben kämpft. Seine Verzweiflung erschütterte mich. Erschrocken, aber willig ließ ich mich von ihm auf den Arm nehmen und auf dem Kaminvorleger ablegen. Er knöpfte mein Nachthemd auf und liebte mich, als wolle er mich vernichten. Er nahm mich so heftig, dass es mir fast den Atem raubte. Er lag mit seinem ganzen Gewicht über mir, aber das war mir egal, am liebsten wäre ich unter ihm verschwunden. Mit ihm gemeinsam verschwunden oder, besser noch, in ihm.
    »Bleib bei mir, Maggie«, flüsterte er mir später zu, als wir uns in der Dämmerung vor dem Kamin aneinandergekuschelt hatten. Es war unendlich still, nur das Knistern und Knacken des Feuers war zu hören. Das orangefarbene Licht

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