Nur 15 Sekunden
gesagt, dass er heute mit Henry verabredet ist, da war ich ein wenig in Sorge.» Ein wenig in Sorge: die Untertreibung des Jahres.
«Das tut mir leid. Sie planen das schon seit gestern.»
«Er wird wohl einfach vergessen haben, es zu erwähnen. Wirklich, Karen, das ist überhaupt kein Problem. Ich bin nur froh, dass ich weiß, wo er ist.»
«Wir bringen ihn gegen halb sechs vorbei, da fahren wir ohnehin nach Park Slope. Bills Cousine hat Geburtstag, wir gehen mit ihr im Belleville essen. Waren Sie da schon einmal?»
«Bis jetzt noch nicht, aber es soll sehr gut sein.»
«Ich erzähle Ihnen dann, wie es war. Wir sehen uns um halb sechs.»
«Ja, vielen Dank. Und sagen Sie Ben bitte, dass ich angerufen habe?»
Seine Miene am Morgen beim Frühstück: müde, genervt. Ob er mir absichtlich nichts von seinen Plänen erzählt hatte? Oder hatte er es mir vielleicht sogar gesagt, gestern oder heute Morgen, und ich war selbst einfach zu abgelenkt gewesen, um ihm zuzuhören?
Immerhin war er in Sicherheit. Das war alles, was zählte. Ich atmete dreimal tief ein, füllte die Lungen mit Luft, hielt sie einen Moment dort und atmete dann wieder aus. Danach war ich ruhiger. Ich ging mit dem Eiskaffee in mein Zimmer, stellte ihn auf der Kommode ab und öffnete den Kleiderschrank. Es war ein tiefer Schrank, der auch als Abstellraum diente – ein ungewöhnlich praktisches Detail in einem New Yorker Stadthaus, die selten Einbauschränke besaßen. Unsere Koffer standen ganz hinten, ein großer mit einem kleineren darin, und ich musste mich erst durch zahllose Schuhe, Stiefel und heruntergefallene Kleiderbügel wühlen. Nachdem ich die Koffer herausgezogen hatte, schob ich alles andere mit dem Fuß wieder in den Schrank und legte beide Koffer offen auf mein Bett.
Ich beschloss, zuerst Bens Sachen zu packen. Doch als ich gerade damit anfangen wollte, klingelte mein Handy, und ich bekam einen Anruf, wie ihn niemand ein zweites Mal im Leben erhalten will.
KAPITEL 12
«Hallo?» Es war eine Frauenstimme, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich:
Courtney
. Doch dann wurde mir klar, dass es eine unbekannte Stimme war.
«Ja?»
«Haben Sie gerade versucht, Richard Salter auf dem Handy anzurufen?»
«Wer ist denn da?»
«Mein Name ist Teresa Grubnetsky, ich bin Krankenschwester im Long Island College Hospital. Die Nachricht auf der Mailbox klang, als stünden Sie ihm nahe, da dachte ich, ich rufe besser zurück.»
«Rich ist im Krankenhaus?»
«Er ist verletzt. Sind Sie seine Frau?»
«Nein. Er ist geschieden, ich bin eine enge Freundin. Was heißt das, verletzt?»
«Wissen Sie, ob er andere Angehörige hat, die ich benachrichtigen kann?»
«Seine Eltern leben in Montana. Was ist denn passiert?»
Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie: «Offenbar war in seiner Wohnung eine Gasleitung undicht. Der Rettungsdienst sagt, es gab eine Explosion, als Mr. Salter die Tür aufgeschlossen hat.»
«Eine Explosion?»
«So etwas kann durch die kleinste Bewegung ausgelöst werden. Er hat sich schwere Verbrennungen zugezogen.»
«Aber er lebt?»
«Ja. Im Augenblick ist er noch in der Notaufnahme, aber er wird in Kürze auf die Intensivstation verlegt. Und sobald ein Bett frei ist, kommt er auf die Spezialstation für Brandverletzungen im Kings County.»
Ich flog die paar Straßen bis zum Krankenhaus.
Als ich ankam, waren sie noch nicht ganz fertig mit ihm. Ich setzte mich in das Wartezimmer im vierten Stock, bis eine Krankenschwester erschien, eine junge Frau mit straff zurückgekämmtem, blondgefärbtem Haar. Sie wirkte leichtfüßig und geschäftig in ihrem weißen Hosenanzug und denweichbesohlten Schuhen und erkannte mich sofort als die Freundin des Brandopfers, die Teresa aus der Notaufnahme ihr angekündigt hatte. Sie fragte mich nach meinem Namen, stellte sich mir als Sally vor und führte mich dann einen Flur entlang zu Richs Zimmer.
Sie hatten eine Mumie aus ihm gemacht, er war fast völlig in weißen Verbandsmull eingehüllt. Arme und Beine waren hochgelagert, der übrige Körper lag in einer Art Kunststoffblase, die über eine Pumpe mit Sauerstoff gefüllt wurde. Ein kleiner Teil seines Gesichts war frei, die Augen und ein Teil der Nase – andernfalls hätte ich niemals glauben können, dass er es wirklich war. Ich wollte es nicht glauben. Mein wunderschöner Mann, seine weiche Haut. Meine Fingerspitzen hatten die Erinnerung noch gespeichert, wie es sich anfühlte, wenn ich mit den Händen über seinen Körper
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