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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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ein sanftes Klopfen, ein kurzes, stilles Aufschlagen.
    Ben spürte den zweiten Schlag. Er kam unmittelbar nach dem ersten. Dann den dritten. Das Gesicht des Chinesen war ganz nah. Es war seitlich gedreht, sein rechtes Ohr berührte fast Bens Stirn. Daneben waren die Finger mit dem Löffel. Ohne hinzusehen schlug er ihn auf Ben, immer im selben Abstand, er wippte mit seinem linken Bein, es gab den Rhythmus vor. Nach jedem Schlag vergingen zwei Sekunden, es war wie eine Melodie, der der Chinese folgte, er lauschte dem Geräusch auf Bens Haut, er schlug den Löffel geübt aus dem Handgelenk, er führte eine leichte Kreisbewegung aus, bevor er Ben traf. Ben konnte das alles nicht fassen.
    Ein Chinese war mit Waffengewalt in seine Wohnung eingedrungen, hatte ihn gefesselt und spielte Löffel auf seinem Kopf. Er spürte den vierzehnten Schlag.
    Er zählte sie, er hörte genau so gespannt hin wie der Chinese, er verstand nicht, was mit ihm passierte. Er spürte den zweiundachtzigsten Schlag. Fast drei Minuten waren vergangen seit dem ersten. Sie waren jetzt härter, zumindest kam es Ben so vor.
    Er spürte die Stelle, an der der Löffel auftraf, er spürte, wie sie begann zu schmerzen mit jedem weiteren Schlag. Der Chinese hatte seine Augen geschlossen, er schien eine Melodie in seinem Kopf zu hören, er bewegte sich langsam hin und her, er ging mit der Musik mit, die er hörte, und seine Hand führte den Löffel wie einen Taktstock, wie einen Bogen über Saiten eines schönen Instruments. Er trommelte sanft den Rhythmus zu seiner Melodie, immer mit derselben Kraft, immer mit demselben Schwung. Seine Hand war wie ein Metronom, das den Takt exakt vorgab, Schlag für Schlag.
    Ben spürte die Stelle auf seiner Stirn, sie schmerzte immer mehr, der Rücken des Löffels wurde immer schwerer, immer härter, er hatte aufgehört zu zählen, er konzentrierte sich auf den Schmerz, auf die harte Stelle an seiner Stirn, auf den Knochen unter der Haut, den er immer besser hörte. Das Geräusch wurde lauter von Schlag zu Schlag, der Schmerz größer. Es war wie das Geräusch, das ein Löffel macht, wenn er auf ein Ei schlägt, wenn die Schale bricht. Es war ihm, als würde seine Schale brechen. Immer wieder. Alle zwei Sekunden neu. Es war ihm, als wäre sein Kopf offen, als würde er aufweichen, als würde an dieser Stelle ein Loch im Knochen entstehen. Mit jedem Schlag wurde es tiefer. Mit jedem Schlag wurde der Knochen weicher. Mit jedem Schlag starb er ein Stück.
    Die Stelle auf seiner Stirn wurde heiß, sie brannte, er wollte sich bewegen, sich losreißen, er wollte seine Stirn berühren, sehen, ob die Haut noch da war, fühlen, wie tief das Loch war, das dieser Mann geschlagen hatte. Aber er rührte sich nicht, die Angst war immer noch da, die Angst, dass er stirbt, wenn er sich bewegt, wenn er den Chinesen aus seiner Musik reißt, die Angst, dass eine Kugel in seinen Kopf kommt.
    Er rührte sich nicht.
    Es waren inzwischen sieben Minuten vergangen. Über zweihundert Schläge. Eine unendlich lange Zeit. Und wieder der Löffel, wie er nach vorne schwang und einschlug in der Grube über seinen Augen.
    Ben versuchte, an etwas anderes zu denken. Irgendwann würde dieses Arschloch damit aufhören. Er versuchte sich abzulenken, er würde sich nicht fertigmachen lassen von diesem Soldatenschwein, er würde das überleben, er würde irgendwie aus diesem Albtraum herauskommen. Er dachte an Anna.
    Er würde Anna in der Clubbing-Kirche treffen, sie umarmen und nicht mehr loslassen, er würde seine Prinzipien brechen und sie weiterhin treffen, er würde sie umarmen und weinen, er würde ihr von dem Chinesen erzählen und sie würde sagen, er soll damit aufhören, aber er würde trotzdem reden, er würde ihr alles erzählen, jeden Löffelschlag, jedes Stück Angst. Und sie würde ihm zuhören und ihn halten, und er würde weinen. Lange und geborgen in ihre Arme hinein. Sie hatte gesagt, sie will nicht, dass er spricht, sie hatte ihm den Mund zugehalten und sich auf seinen Schwanz gesetzt. Er würde reden, lange und laut, und sie würde zuhören, sie würde ihn trösten und seine Stirn küssen.
    Anna war schön. Der Löffel war hart. Es brannte.
    Das Geräusch, das er machte, hallte in seinem Kopf, es übertönte die Gedanken, es erstickte sie, es überschwemmte sie, ihm wurde schwindlig. Der Löffel nahm ihm seine Gedanken. Anna würde ihn nicht halten. Anna wollte ihn nicht haben. Anna wollte nichts wissen von ihm. Anna wollte nur seinen

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