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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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Mitter­nacht.

21.
    Olivier machte die Augen auf.
    Das war vor vier Stunden in dem Bus. Hertas Arm lag auf seinem Bauch, ihre Schenkel auf seinen. Ihr Bauch klebte an seiner Seite, sie atmete, ruhig und gleichmäßig. Olivier schob vorsichtig ihre Hand von sich weg und richtete sich auf, ohne sie zu wecken. Benommen saß er im Bett und schaute hinunter auf die dicke Frau, die neben ihm lag, mit der er eben etwas erlebt hatte, von dem er nicht gewusst hatte, dass es möglich war. Er berührte sanft ihren Arm, dann ihre Brust, dann streifte seine Hand langsam über die breiten Falten auf Hertas Bauch. Es waren ungewohnte Bewegungen. Schöne Bewegungen.
    Dann schrie er auf.
    Herta zuckte, wuchtete ihren Leib nach oben und schlug mit ihren Armen um sich. Die linke Hand traf Olivier am Kopf. Was ist, schrie Herta verwirrt.
    Das Bild, schrie Olivier zurück.
    Auf der Kommode, wo es gestanden war, sah er nichts mehr. Herta kam langsam zu sich, sie streichelte Olivier über den Kopf.
    Es tut mir Leid, sagte sie, aber du hast mich erschreckt, wo ist das Bild, was ist passiert.
    Sie zog sich das rosarote Laken über die Falten auf ihrem Bauch und schaute zur Kommode.
    Ich weiß es nicht, kam es panisch aus Oliviers Mund, ich weiß es nicht, die Italienerin, sie hat es mitgenommen.
    Er sprang aus dem Bett und suchte seine Hose zwischen Hertas Haut und den Laken.
    Komm, Herta, ich will es zurück. Zieh dich an, schnell, wir brauchen dieses Bild.
    Herta zog sich an. Unschlüssig standen sie in dem Wohnmobil und überlegten. Es war mitten in der Nacht, sie hatten eben zum ersten Mal miteinander geschlafen, das Bild war echt. Sie ist damit verschwunden, das Wohnmobil hat sie geopfert. Mit dem Geld für das Bild kann sie sich fünfzig Wohnmobile kaufen. Sie weiß, dass wir nicht zur Polizei gehen können, dass du das Bild gefunden hast, dass wir keinen Beweis haben. Dass es uns gehört.
    Ja, sagte Olivier. Das war unsere Zukunft. Er flüsterte.
    Herta sagte nichts mehr, sie umarmte ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
    Es war wunderschön, Olivier.
    Ihre Stimme ging direkt in seine Haut hinein, ihre Lippen berührten seinen Hals.
    Ja, aber das Bild, das kann nicht sein, Herta. Natürlich war es schön, aber das Bild. Ich verstehe das nicht, Herta. Was sollen wir jetzt tun.
    Er umarmte sie. Sie standen umschlungen in dem Wohnmobil und spürten sich, dieses neue Gefühl, das sie verband, die stille Haut des anderen, die Angst, die noch zwischen ihnen war, das Vertraute, das jetzt überall warm war auf ihnen, das sie ausgeschüttet hatten über sich. Sie schwiegen beide.
    Da war dieses Bild, und da waren diese Küsse. Diese Berührungen, der Schweiß, der sich vermischt hatte, Hertas Lachen und das von Olivier. Es war still im Wohnmobil. Keiner von beiden wusste, was sie tun sollten. Keiner von beiden wollte aus dieser Umarmung gehen, in der sie sich verfangen hatten.
    Wir müssen sie suchen, flüsterte Herta, ich will ein Restaurant mit dir, Olivier, wir brauchen dieses Bild.
    Sie löste sich von ihm. Komm jetzt.
    Olivier öffnete seine Augen, sie lagen weich im Dunkeln, dann leuchteten sie.
    Komm jetzt, sagte Herta wieder.
    Ein Restaurant ist eine gute Idee, sagte Olivier.
    Wir holen uns jetzt dieses Bild.
    Er schaute in Hertas Gesicht. Es war ihm vertraut. Es fühlte sich schön an. Frisch und schön. Dann drückte sie den Türgriff nach unten und ging hinaus auf den Parkplatz. Olivier hinter ihr.
    Zuerst sah sie nur den Lichtstrahl, dann erst Mirella.
    Sie saß in ihrem Campingsessel mit einer Decke über den Beinen und schlief. Sie hatte das Fernlicht angemacht und das Bild auf einen Sessel in den Lichtstrahl gestellt. Mit ihrem Rücken zum Auto saß sie zwischen den beiden Lichtern, das Bild vor sich. Sie schlief. Ihr Kopf auf ihren Schultern, ihr Mund war offen. Eine schlafende alte Frau. Und vor ihr das Bild.
    Herta und Olivier standen nebeneinander, atmeten tief ein und aus. Es war noch da. Sie war noch da, das Bild stand vor ihnen auf einem hellblauen Campingsessel. Sie standen Hand in Hand. Herta hatte die von Olivier in ihre genommen und ihn zurückgehalten. Er wollte zu dem Bild, er wollte es von dem Sessel nehmen und rennen, es in den Alfa legen und losfahren. Es im Kofferraum verstecken, es nicht mehr aus den Augen lassen. Aber Herta hielt ihn zurück. Sie drückte seine Hand und sagte ihm durch die Haut, er solle noch warten, sie wolle sich dieses seltsame Bild noch etwas ansehen.
    Die alte Frau in ihrem Sessel

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