Nur dein Leben
und Naomi konnte sich heute besser konzentrieren.
Draußen war es heiß, aber die Klimaanlage im Büro schien kälter eingestellt zu sein als tags zuvor. Da sie nur ein leichtes Baumwolltop über ihrer Jeans trug, fröstelte Naomi. Ihr Unbehagen wurde noch durch einen permanenten, dumpfen Schmerz in ihrem rechten Oberschenkel verstärkt, wo die Krankenschwester ihr am Morgen die erste von fünfzehn täglichen Fruchtbarkeitsinjektionen verpasst hatte – mit einer Spritze, mit der man einen Elefanten hätte betäuben können.
»Ein Baby, das nachts nur zwei Stunden schläft, wäre ein Albtraum«, erwiderte sie. »Sie haben doch selbst Kinder gehabt – sicher wissen Sie doch …?«
Dettore, neben ihr auf dem Sofa, hob die Hand. »Aber natürlich, Naomi! Das wäre ein absoluter Albtraum, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber Sie als Mutter bräuchten sich deswegen keine Sorgen zu machen. Ihr Kind hätte normale Schlafrhythmen bis es etwa fünfzehn Jahre alt wäre, dann würde sich das Schlafbedürfnis allmählich bis zum Alter von achtzehn immer weiter verringern. Seine kurzen Ruhephasen würden ihm dann genau rechtzeitig, nämlich während der kritischen Phase des Studiums, zugutekommen und es ihm ermöglichen, mit einem maximalen Vorsprung vor seinen Altersgenossen ins Leben zu starten.«
Naomi sah sich eine Weile in dem schicken Büro um, dachte nach und spielte dabei mir ihrer Armbanduhr. Zehn vor elf. Wenn sie ihr Tempo beibehielten, würde es Monate dauern, die ganze Liste durchzuarbeiten. »Ist es nicht gefährlich, die Schlafrhythmen von Menschen zu manipulieren? Woher wollen Sie wissen, dass das keine psychischen Probleme auslöst?«, fragte sie.
»Schlafentzug kann zu psychischen Problemen führen, da gebe ich Ihnen recht, Naomi. Aber ich rede von etwas anderem. Zwei Stunden Schlaf wären für Ihren Sohn wie acht Stunden für einen gewöhnlichen Menschen. Im Vergleich zu jemandem, der beispielsweise acht Stunden Schlaf benötigt, würde Ihr Sohn bei einer normalen menschlichen Lebensspanne fünfzehn Jahre an bewusster Existenz hinzugewinnen. Was für ein großes Geschenk Sie als Eltern Ihrem Sohn damit machen würden! Stellen Sie sich doch mal vor, wie viel mehr er lesen, lernen, leisten könnte!«
Naomi blickte John an, konnte aber seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Dann sah sie wieder den Genetiker an. »Nichts von dem, was wir bisher angekreuzt haben, wird ihn zu einem Wundertier machen. Wir möchten seine Größe beeinflussen, in der Hoffnung, dass er einen Meter achtzig groß wird, so wie John, und nicht so klein wie ich, weil es für einen Mann unbestreitbar Vorteile hat, groß zu sein. Ansonsten versuchen wir nur, diese schrecklichen Krankheitsgene zu eliminieren. Wir sind nicht daran interessiert, die Form seiner Nase, seine Augenfarbe oder Haarfarbe zu bestimmen. Diese Eigenschaften überlassen wir bereitwillig dem Zufall.«
John, der sich gerade etwas auf seinem BlackBerry-Memopad notierte, nickte.
Dettore füllte sein Glas Mineralwasser auf. »Lassen wir den Punkt Schlafrhythmus erst einmal außen vor. Wir werden später darauf zurückkommen. Machen wir weiter mit der nächsten Gruppe auf der Liste. Sie bezieht sich auf die Cluster von Muskel-, Skelett- und Nervengenen, die seine sportlichen Fähigkeiten beeinflussen. Wir können einige dieser Gruppen so verändern, dass sich die Hand-Augen-Koordination Ihres Sohnes verbessert, was ihm bei Sportarten wie Tennis, Squash, Baseball und Golf zugutekommen wird.«
John wandte sich an Naomi. »Das finde ich interessant. Das kann ihm doch nicht schaden.«
»Doch«, erwiderte sie. »Mir widerstrebt dieser Gedanke zutiefst. Warum würdest du das tun wollen?«
»Weil keiner von uns beiden besonders sportbegabt ist«, antwortete John. »Warum sollten wir ihn nicht ein bisschen unterstützen? Wie eine Art Training vor der Geburt.«
»Vor der Empfängnis«, verbesserte sie ihn bissig. »Ich sage dir, wo ich das Problem sehe: Wenn wir ihn zu einem absoluten Ass in diesen Sportarten machen, wird er schließlich so viel besser als seine Freunde sein, dass keiner mehr mit ihm spielen will. Ich möchte keine Sportskanone – ich will nichts weiter, als dass mein Sohn ein gesunder, normaler Mensch wird.«
Nach einigen Augenblicken gab John nach. »Das ist ein gutes Argument, so hatte ich es gar nicht betrachtet.«
Naomi presste die Hände zusammen, teils vor Kälte, teils vor Nervosität. »So«, sagte sie zu dem Genetiker, »aber die nächste
Weitere Kostenlose Bücher