Nur dein Leben
Gott, John, hoffentlich ist das kein Scherz! Das könnte ich nicht ertragen. Ich bin so aufgeregt! Ich kann es kaum glauben, wirklich nicht!«
»Wir werden ja sehen.«
Naomi streichelte seine Stirn. »Bist du denn gar kein bisschen aufgeregt?«
»Doch, natürlich! Ich glaube, ich stehe unter Schock. Aber gleichzeitig, weißt du, bin ich …«
Er zögerte.
»Was denn?«, fragte sie.
»Ich bin nervös. Ich weiß nicht, was auf uns zukommt. Vielleicht brauchen sie Geld – wenden Kinder sich nicht meistens deswegen an ihre Eltern? Sie kommen jetzt in ein Alter, wo sie sich vielleicht das ein oder andere kaufen möchten. Du weißt schon, Musik, Klamotten.«
»Noch sind sie keine Teenager«, erwiderte Naomi.
»Dettore hat prophezeit, dass sie schneller erwachsen werden würden. Obwohl sie erst elf sind, nehme ich an, dass sie schon wie wesentlich ältere Jugendliche aussehen.«
Naomi starrte die dürren Worte der E-Mail an. »Das klingt so – als hätten wir sie gerade einmal für ein paar Tage nicht gesehen. Als seien sie in Urlaub gewesen – wie merkwürdig, dass sie nur das und nicht mehr schreiben, nachdem sie acht Jahre lang fort waren.«
John lächelte ein wenig verbittert. »Das Traurige ist, dass ich mich überhaupt nicht darüber wundere. So sind sie schon immer gewesen. Besseres Benehmen scheinen sie nicht gelernt zu haben.«
»Ob wir sie überhaupt noch wiedererkennen?«
»Natürlich. Und falls nicht, warum auch immer, werden sie mit Sicherheit uns erkennen.«
131
NAOMI HIELT JOHNS HAND GANZ FEST, als sie den Fußgängerweg des Kurzzeitparkplatzes überquerten und die Ankunftshalle betraten. Sie waren eine halbe Stunde zu früh dran – John, als Schwede, war stets überpünktlich, und am heutigen Tag wollten sie keinerlei Risiken eingehen.
Sie waren beide wahnsinnig nervös. John hatte einen Kloß im Hals, und sein Mund war ausgetrocknet. Naomi suchte mit den Augen die Halle ab, nur für alle Fälle, falls die Zwillinge einen früheren Flug erwischt hatten und schon da waren. Obwohl sie natürlich wusste, dass das unwahrscheinlich war. Sie sah sich die Gäste im Costa-Café und die Kunden im WH -Buchladen an, überhaupt jeden in ihrer Umgebung. Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr: 15 . 02 Uhr. Das Flugzeug sollte im 15 . 30 Uhr eintreffen, und sie hatten seine Reise auf dem Computerbildschirm im Saab verfolgt. Nach der Landung würde es, wie sie aus Erfahrung wusste, noch mindestens eine halbe Stunde dauern, bis sie rauskamen – noch länger, falls sie Gepäck aufgegeben hatten.
Sowohl John als auch Naomi fragten sich, ob die Kinder allein oder in Begleitung eines Erwachsenen reisen würden – vielleicht sogar Leo Dettore höchstpersönlich?
Sie blieben etwas abseits von der Menge der Wartenden stehen, die sich vor den Absperrungen für die eintreffenden Reisenden scharten. Naomi war ganz flau im Magen. So viele Fragen gingen ihr durch den Kopf! Rings um sie standen Männer in Anzügen, die Plakate mit Namen hochhielten. Limousinen- und Taxifahrer warteten auf Fahrgäste. Naomi warf einen Blick auf einige Namen, nur für alle Fälle. Wonach suchte sie? Nach dem Namen Dettore? STANNARD . MR. FAISAL . FRANK NEWTON . MRS. APPLETON . OSTERMANN PLC .
Naomi zitterte, aufgeregt und ängstlich zugleich. Und ungeduldig. Zäh tickten die Minuten vorbei. John sah ständig auf seine Armbanduhr und jedes Mal schaute sie auch auf ihre. Doch die meiste Zeit starrte sie auf den Ausgang des Gepäck- und Zollbereichs. Gespannt beobachtete sie die Passagiere, die herauskamen. Ein Geschäftsmann hastete vorbei, einen kleinen schwarzen Trolley hinter sich herziehend. Dann kam ein älteres indisches Paar, das einen gefährlich hochbeladenen Gepäckwagen vor sich her schob. Dann eine Frau mit Zwillingsmädchen, dicht gefolgt von einem Mann, der ebenfalls einen Gepäckwagen schob.
Es waren noch immer zwanzig Minuten, bis sie realistischerweise mit den Kindern rechnen konnten.
Die zwanzig Minuten vergingen, gefolgt von zehn weiteren. Jetzt floss ein nicht abreißender Strom von Menschen, als wären mehrere Flugzeuge ungefähr zur gleichen Zeit gelandet. Und noch zehn Minuten.
»Ich hoffe so sehr, dass sie kommen, John!«
Er nickte. Dann sahen sie zwei hochgewachsene Gestalten heraustreten, und ihre Hoffnung wuchs. Ein älterer Jugendlicher und ein gleichaltriges Mädchen. Der Junge war attraktiv, mit strubbeligen blonden Haaren, das Mädchen schlank und hübsch. Sie schoben einen Wagen, der mit
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