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Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:

Titel: Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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Brieftasche vor sich auf den Schreibtisch, ein kleines, dünnes Exemplar im Hosentaschenformat, aus schwarzem Lederimitat und ohne Münzfach. Er fand dreitausend Kronen darin. Viel Geld für eine Vierzehnjährige. Für Elise musste es schwer gewesen sein, darauf zu verzichten, dachte er. Die Brieftasche hatte Platz für sechs Karten, enthielt aber nur fünf: eine Krankenversicherungskarte, eine ICA - und eine Coop-Kundenkarte, den Mitgliedsausweis der Videothekenkette und einen Führerschein. Ein gewisser Sören Andersson, geboren 1954, starrte ihn mit einem nichtssagenden Blick an. Er sah unauffällig aus, ein bisschen ungekämmt.
    *
    »Unser einziger Anhaltspunkt ist die Tatsache, dass er eine große Schwester hat«, stellte Petra Westman resigniert fest.
    »Was die Sache auch nicht lustiger macht«, sagte Sandén.
    »Nein, für sie wird es wohl schwieriger als für den Jungen, ohne Mutter aufzuwachsen. Er wird sich nicht mal daran erinnern, dass er mal eine hatte.«
    Petra und Sandén aßen gemeinsam eine schnelle und ziemlich ungesunde Mahlzeit im McDonald’s an der Götgatan. Normalerweise bemühte sich zumindest Sandén, um das Mittagessen herum auch ein bisschen Zeit zur Entspannung einzuplanen, aber im Augenblick hatten sie nicht viel Zeit zu verlieren und wollten trotzdem nicht auf eine Lagebesprechung verzichten. Sie hatten sich strategisch an einem Fenstertisch in einer Ecke des Restaurants platziert und unterhielten sich gedämpft.
    »Hast du heute im Krankenhaus angerufen? Wie geht es dem Jungen?«, fragte Sandén.
    »Er wird es schaffen«, antwortete Petra. »Hauptsache, er isst ordentlich und wird diese Streptokokken los. Aber wo in Gottes Namen steckt der Rest seiner Familie? Seit vier Tagen hat niemand den Jungen und seine Mutter als vermisst gemeldet. Morgen müssen wir ihr Foto in die Zeitung setzen, anders geht es nicht. Wir haben alle Kinderkliniken in der ganzen Stadt abgeklappert. Es bleiben noch ein paar Kinderkrankenschwestern, die im Urlaub oder krank sind, sodass wir sie zu Hause aufsuchen müssen. Das kostet ewig viel Zeit.«
    »Wir haben an so gut wie jede Tür im Umkreis von dreihundert Metern um den Fundort geklopft. Dasselbe Ergebnis. Die einzige Unsicherheit sind diejenigen, die nicht geöffnet haben oder nicht ans Telefon gegangen sind.«
    »Dass man in dieser Stadt so anonym leben kann«, seufzte Petra.
    »Das erstaunt mich überhaupt nicht. Trotzdem finde ich es seltsam, dass kein Schwein irgendetwas gesehen hat«, brummelte Sandén.
    »Zu dieser Zeit kommen dort nicht viele Menschen vorbei. Im September ist es um Mitternacht stockfinster, und der Park ist schlecht beleuchtet. Außerdem muss alles sehr schnell gegangen sein. Stell dir vor, er fährt mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu. Es ist dunkel, vermutlich sieht er die Frau erst, als es schon zu spät ist. Sie fliegt mit dem Kopf voran direkt gegen den Baum, der Kinderwagen in eine andere Richtung. Er hält an, steigt aus, um zu sehen, was passiert ist, und findet die leblose Frau. Panik ergreift ihn, und er beschließt, den Leichnam zu verstecken. Da entdeckt er diese Streusandkiste und schleppt sie dorthin. Bugsiert sie in die Kiste hinein, kommt irgendwie auf die Idee, ihre Taschen zu leeren, um seine Spuren zu verwischen, der Polizei die Arbeit zu erschweren oder warum auch immer. Dann läuft er zum Auto zurück und fährt davon. Alles in weniger als zwei Minuten, das wird die Rekonstruktion des Tathergangs beweisen.«
    »Du vergisst den Jungen«, meinte Sandén.
    »Der Fahrer hat ihn gar nicht gesehen. Ich glaube, dass der Kinderwagenaufsatz infolge der Kollision in dem Gebüsch gelandet ist und dass der Wagen selbst ein Stück weiter geflogen oder gerollt ist. Später hat irgendein Passant den Wagen auf dem Rasen entdeckt und bis zum Wendehammer gefahren.«
    »Oder es hat sie jemand mit Absicht überfahren«, schlug Sandén vor. »Zum Beispiel der Vater. Vielleicht haben sie sich um das Sorgerecht gestritten, und er hat sie loswerden wollen.«
    »Während sie den Sohn im Kinderwagen vor sich herschiebt?«
    Petra klang skeptisch.
    »Die Kinder hatten vielleicht unterschiedliche Väter. Er war vielleicht nur der Vater der Tochter.«
    »Das glaubst du ja nicht einmal selbst.«
    »Vollkommen korrekt«, gab Sandén zu. »Ich übernehme heute Nachmittag die Runde mit den Kinderkrankenschwestern, die in den nördlichen und westlichen Vororten krank zu Hause liegen, und du übernimmst den Rest.«
    »Gut«, sagte Petra.

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