Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
genug Gelegenheit gegeben, mit der Wahrheit rauszurücken, aber du hast sie nicht genutzt. Jetzt erzähl mir von dieser Brieftasche.«
Am anderen Ende der Leitung war es still. Hamad dachte gar nicht daran, sie vom Haken zu lassen. Er trank einen Schluck Kaffee und wartete.
»Was denn erzählen?«, sagte sie schließlich. »Ich habe sie in der Stadt gefunden, und dann habe ich sie abgegeben. War das etwa nicht richtig?«
»Wo hast du sie gefunden?«
»In der Stadt, hab ich doch schon gesagt. Ich weiß nicht, wie die Straße hieß.«
»Wann hast du sie gefunden?«
»Vor ein paar Tagen. Vorgestern, glaube ich.«
»Und du hast sie erst heute abgegeben? Hast du überlegt, ob du das Geld lieber behalten solltest?«, kam Hamad direkt zur Sache.
Ein paar Sekunden Stille, dann antwortete sie:
»Ja, das hab ich wohl. Es war ja ganz schön viel Geld …«
»Dreitausend Kronen. Ja, das ist viel Geld. Du wärst zur Diebin geworden, wenn du die Brieftasche behalten hättest, ist dir das klar?«
»Deswegen habe ich sie ja abgegeben«, verteidigte sie sich.
»Wer ist Sören Andersson?«, fragte Hamad. »Kennst du ihn?«
Nach kurzem Zögern antwortete sie:
»Dem die Brieftasche gehört? Nein, den kenn ich nicht.«
»Warum bist du nicht direkt zu ihm gegangen?«
»Woher sollte ich denn wissen, wo ich ihn finden kann?«
»Alle Informationen waren in der Brieftasche. Adresse und Telefonnummer. Und es war viel Geld. Du hättest bestimmt einen Finderlohn bekommen.«
»Vielleicht ist er ja so ein … man soll sich vor Fremden in Acht nehmen«, sagte sie schnell.
»Ein bisschen schlechtes Gewissen hattest du wohl auch, wenn du zuerst überlegt hattest, das Geld zu behalten?«
»Vielleicht auch das.«
Hamad hatte das Gefühl, dass sie ihm irgendetwas verschwieg. Die Geschichte konnte durchaus stimmen, aber warum diese Heimlichtuerei?
»Weißt du, was ich glaube?«
Elise antwortete nicht.
»Ich glaube, du hast die Brieftasche gestohlen.«
Hamad wartete auf irgendeine Reaktion, aber am anderen Ende blieb es still. Er fuhr fort:
»Du hast die Brieftasche geklaut, weil du Geld brauchtest. Dann hast du alles bereut und bist zur Polizei gegangen und hast es dort abgegeben. Wusste der Besitzer, dass du die Brieftasche geklaut hast?«
»Ich hab sie gefunden, das hab ich doch schon gesagt.«
»Warum hast du im Fundbüro nicht deinen Namen hinterlassen? Wenn du schon Geld brauchst? So bekommst du ja nicht einmal den Finderlohn.«
»Ich will gar keinen Finderlohn. Ich hab sie nicht geklaut, ich hab sie auf der Straße gefunden.«
»Aber jetzt weiß ja zumindest ich, wer sie gefunden hat, also kann ich deinen Namen doch an diesen Sören Andersson weitergeben«, sagte Hamad provozierend. »Damit du deinen Finderlohn bekommst, meine ich …«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, sagte Elise.
Hamad bekam ein paar Gewissensbisse wegen des Mädchens, war aber trotzdem zufrieden, dass er ihr einen Denkzettel verpasst hatte.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, sagte er versöhnlich. »Ich werden deinen Namen nicht verraten. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du in Zukunft die Wahrheit sagen würdest.«
»Mhm«, murmelte sie zur Antwort.
»Pass auf dich auf, Elise. Und keine Dummheiten mehr.«
Nach dem Gespräch blieb er eine Weile sitzen und nestelte zerstreut an der Brieftasche herum. Das Mädchen log, davon war er überzeugt. Sie hatte die Brieftasche mit Sicherheit gestohlen, aber sie hatte es bereut, und das war gut so. Elise Johansson war bislang nur eine dieser orientierungslosen Jugendlichen, die fanden, dass es leichter sei zu lügen als die Wahrheit zu erzählen. Die ohne zu zögern irgendwelche Halbwahrheiten oder reine Lügen verbreiteten, weil es kurzfristig Erleichterung verschaffte. Sie hatte keinen Grund, Repressalien oder Konsequenzen zu fürchten, lebte in den Tag hinein, ohne ihren Mitmenschen Respekt zu zollen, weil sie selbst niemals respektiert worden war. Dann erinnerte er sich, dass sie auf eigene Initiative Reue gezeigt und auf das Geld verzichtet hatte. Vielleicht gab es noch Hoffnung für Elise.
Hamad warf einen Blick auf die Uhr und erhob sich von seinem Stuhl. Er beschloss, sich auf den Fall Jennifer Johansson zu konzentrieren und die kleine Schwester vorerst ihrem Schicksal zu überlassen. Dann ging er mit der Brieftasche zurück ins Fundbüro.
Dienstagnachmittag
W ie immer redete er sich ein, dass nichts vorherbestimmt war, dass es keine festen Pläne gab. Das war ja auch wahr. Der
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