Nur Der Tod Bringt Vergebung
und der Mann wußte sofort eine Auskunft zu geben. Er berichtete, Bruder Athelnoth habe die Abtei gleich nach dem Läuten zum morgendlichen Angelus verlassen und werde erst am Abend zurückerwartet. Außerdem vertraute ihm der Torhüter in verschwörerischem Tonfall an, Athelnoth habe ein Pferd aus dem königlichen Stall geritten, über dessen Verschwinden sich erstaunlicherweise noch niemand beschwert habe.
Als die Glocke zur cena, der Hauptmahlzeit des Tages, läutete, war Athelnoth noch immer nicht zurückgekehrt.
Fidelma und Eadulf kamen zu dem Schluß, daß sie wohl bis zum nächsten Morgen warten mußten, um mit Athelnoth zu sprechen – vorausgesetzt, der Mönch hielt sein Versprechen, zur Abtei zurückzukehren.
XIV
Schwester Fidelma schwamm in kristallklarem Wasser. Warme, kleine Wellen umspülten ihren Körper, während sie träge vorwärts glitt. Über ihr wölbte sich ein azurblauer Himmel, von dem eine goldene Sonne auf sie herunterstrahlte und angenehm das Wasser durchdrang. Vom Ufer hörte Fidelma Vögel zwitschern. Großer Friede breitete sich in ihr aus, und sie fühlte sich vollkommen eins mit der Welt. Plötzlich griff etwas nach ihrem Bein, eine Pflanze wahrscheinlich, und schlang sich fest um ihren Knöchel. Fidelma versuchte, sich zu befreien, aber sie war gefangen und wurde erbarmungslos nach unten gezogen. Ihr wurde schwarz vor Augen, während sie immer tiefer sank. Sie kämpfte mit aller Kraft, rang nach Atem, schlug wild um sich …
Schweißgebadet erwachte Fidelma. Jemand zerrte an ihr, und sie wehrte sich heftig.
Schwester Athelswith stand vor ihrem Bett, eine brennende Kerze in der Hand. Fidelma blinzelte. Es dauerte eine Weile, bis sie wußte, wo sie sich befand. Sie hob die Hand, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
«Ihr hattet einen Alptraum, Schwester», sagte die ältliche domina des domus hospitale vorwurfsvoll.
Schwester Fidelma gähnte und sah ihren Atem im flackernden Kerzenlicht. Es war noch dunkel, und sie zitterte in der kühlen Luft.
«Habe ich die anderen Gäste mit meinen Träumen gestört?» fragte sie.
Dann wurde ihr klar, daß die ängstliche domina ihr cubiculum nicht betreten hatte, um sie wegen eines Alptraums zu wecken, und sie fügte hinzu: «Was ist geschehen?»
Im schwachen Licht der Kerze war Schwester Athelswiths Gesichtsausdruck schwer zu deuten.
«Ihr müßt sofort mitkommen, Schwester», flüsterte die domina mit gepreßter Stimme.
Widerwillig schlug Fidelma die Decke zurück. Die eisige Kälte ließ sie erschaudern.
«Habe ich genug Zeit, um mich anzuziehen?» fragte sie und griff nach ihren Kleidern.
«Am besten kommt Ihr so schnell wie möglich. Äbtissin Hilda erwartet Euch, und nach Bruder Eadulf habe ich auch schon geschickt.»
Fidelma sah sie erschrocken an.
«Ist noch jemand an der Gelben Pest gestorben?»
«Nicht an der Gelben Pest, Schwester», erwiderte die domina.
Fidelma streifte Umhang und Schleier über ihr Nachtgewand. Dann folgte sie der aufgeregten domina, die ihr mit erhobener Kerze den Weg wies. Zu ihrem Erstaunen führte die Schwester sie jedoch nicht in das Gemach der Äbtissin, sondern eilte voraus zum dormitorium der Männer, blieb dann vor der Tür eines cubiculum stehen, schob mit abgewandtem Gesicht die Tür auf und winkte Fidelma hinein. Beim Eintreten hatte Fidelma das Gefühl, schon einmal in diesem cubiculum gewesen zu sein. Der kleine Raum war von zwei Kerzen erleuchtet.
Zunächst sah Fidelma nur einen müden Eadulf mit zerzaustem Haar und einem Ausdruck schläfrigen Erstaunens auf dem Gesicht. Neben ihm stand die hagere Gestalt Äbtissin Hildas. Sie hatte die Hände in ihrem Gewand gefaltet und hielt den Kopf gesenkt.
«Was ist geschehen?» fragte Fidelma und ging einen Schritt auf die beiden zu.
Wortlos stieß Eadulf die Tür mit dem Fuß zu. Dann deutete er auf die Rückseite der Tür.
Fidelma stockte der Atem.
An dem Holzpflock, der dem Aufhängen von Kleidung und pera diente, erblickte sie Athelnoths Leichnam. Kein Wunder, daß ihr das cubiculum bekannt vorgekommen war. Es war Athelnoths Unterkunft.
Überrascht trat Fidelma einen Schritt zurück. Athelnoth trug sein Nachtgewand. Die kräftige Schnur seines Habits war um seinen Hals geschlungen und an einem der etwa sechs Fuß über dem Boden angebrachten Holzpflöcke befestigt, so daß Athelnoths nackte Zehen fast den Boden berührten. Ein Schemel lag umgestoßen in der Nähe. Athelnoths Gesicht war schwärzlich angelaufen, und
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