Nur Der Tod Kann Dich Retten
verschüttest -«
»Ich verschütte sie schon nicht.«
»- kannst du hinterher sauber machen«, fuhr ihre Großmutter unbeirrt fort.
Eine Weile sagte niemand etwas.
»Und wie geht es Sheriff Weber?«
»Gut.«
»Was hat er im Chester’s gemacht?«
»Ein Bier getrunken.«
»Ich nehme an, seine Frau war nicht dabei.«
Delilah schüttelte den Kopf. »Er war dienstlich dort.«
»Dienstlich?« Ihre Großmutter zog eine Braue hoch.
»Liana Martin wird vermisst.«
»Was?«
»Liana Martin. Ein Mädchen aus meiner Klasse. Sie wird vermisst.«
»Judy Martins Tochter?«
»Glaub schon.«
»Sehr hübsche Frau. Sie war mal Zweite bei der Wahl zur Miss America, wusstest du das?«
»Ich glaube, es war nicht die Miss America, sondern -«
»Was soll das heißen, ihre Tochter wird vermisst?«, unterbrach ihre Großmutter sie.
»Sie ist wohl gestern nach der Schule nicht nach Hause gekommen, und seitdem hat sie niemand mehr gesehen.«
Es dauerte einen Moment, bis ihrer Großmutter die volle Tragweite dieser Information aufging. »Was glaubt der Sheriff, was mit ihr passiert ist?«
»Er weiß es nicht.«
»Wahrscheinlich ist sie abgehauen«, sagte Rose abschätzig, obwohl sie keineswegs überzeugt klang. »Warum hast du mir das erzählt?«, wollte sie Sekunden später wissen. »Siehst du nicht, dass ich mir auch so schon genug Sorgen mache?«
»Mach dir keine Sorgen, Grandma. Liana taucht bestimmt wieder auf.«
»Um sie mache ich mir auch keine Sorgen, Herrgott noch mal. Ich mache mir Sorgen um deine Mutter. Was, wenn da draußen ein Irrer -«
»Hey, stopp! Wer hat denn was von einem Irren gesagt?«
»Ich habe ein ungutes Gefühl.«
»Du machst mir richtig Angst.«
»Wovor solltest du denn Angst haben? Nicht einmal ein Irrer würde sich mit dir einlassen.«
Tränen schossen in Delilahs Augen. Jetzt war sie also schon so abstoßend, dass nicht einmal ein Irrer sie anrühren würde. Sie führte die Dose Cola zum Mund und setzte sie erst wieder ab, als sie leer war. In der Zwischenzeit waren auch ihre Tränen
verschwunden. Sie stand auf. »Soll ich den Fernseher anmachen, Grandma Rose?«
»Nein. In der verdammten Kiste kommt doch eh nie was. Vielleicht solltest du noch mal nach deiner Mutter suchen.«
»Ich bin müde, Grandma. Außerdem ist Mom wahrscheinlich bei Dr. Crosbie.«
»Nein. Der hat heute Abend seine Kinder. Du glaubst doch nicht, dass sie einen Unfall hatte, oder? Deine Mutter ist nicht die sicherste Fahrerin.«
»Dann hätte bestimmt jemand angerufen.« Wo steckte ihre Mutter? Wieso hatte sie nicht angerufen? »Warum machst du dich nicht bettfertig, Grandma. Es ist schon spät und -«
»- und deine Mutter ist noch nicht zu Hause. Und ein junges Mädchen wird vermisst. Wie soll ich da einschlafen?«
»Du steigerst dich in die Sache hinein. Das ist nicht gut für dich«, sagte Delilah, obwohl eigentlich nicht zu befürchten war, dass ihre Großmutter dabei Schaden litt. Sie war eine Naturgewalt, absolut unzerstörbar. Sie würde noch das Armageddon überleben. Grandma Rose und die Kakerlaken. Klang wie ein guter Name für eine Band.
»Aber du kannst ruhig schon raufgehen, wenn du willst«, sagte ihre Großmutter. »Du musst mir keine Gesellschaft leisten.«
»Ich möchte dich nicht alleinelassen.«
»Das ist schon in Ordnung. Daran bin ich gewöhnt.«
Delilah verdrehte die Augen und gab ihrer Großmutter einen Kuss auf die trockene, schuppige Stirn. Hatte sie sich das nur eingebildet, oder war sie vor ihrer Berührung zurückgezuckt? »Sheriff Weber hat gesagt, ich soll ihn anrufen, wenn Mom bis Mitternacht nicht zurück ist«, sagte Delilah auf dem Weg aus dem Zimmer.
»Mitternacht«, wiederholte Rose, als hätte sie ein unflätiges Wort benutzt. » Mitternacht ?«
Wie ein wütender Fluch hallte das Wort hinter Delilah die Treppe hinauf und prallte von den rosafarbenen Wänden ihres
Zimmers ab. Sie ließ sich auf ihr schmales Einzelbett sinken, und die Daunendecke mit dem rosa-weißen Blümchenbezug bauschte sich um ihre breiten Hüften. Ein rosafarbener Läufer lag auf dem Boden, rosa-weiß karierte Vorhänge rahmten das Fenster zur Straße; ein rosafarbener Lampenschirm krönte eine weiße Lampe auf einer weißen Kommode, die mit handgemalten rosafarbenen Blumen verziert war. Es war das perfekte Mädchenzimmer. Kein Klischee war ausgelassen worden. Und die Tatsache, dass seine Bewohnerin ihrem Puppenbett längst entwachsen und jedes Interesse an den Plüschtieren auf dem Bücherregal
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