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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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verloren hatte, spielte keine Rolle. Entscheidend war ein Traum von weiblicher Vollkommenheit. Entscheidend war das Ideal.
    Nur dass Delilah dem Ideal weiblicher Vollkommenheit so wenig entsprach, wie ein Mädchen es nur konnte. Schon als Kind hatte sie die Erwartungen dieses Zimmers enttäuscht. Bei ihrer Geburt hatte sie nur kümmerliche 2700 Gramm gewogen, sich fortan aber ganz normal entwickelt. Erst nach der zweiten Scheidung ihrer Mutter hatte sie stetig an Gewicht zugelegt und in den Weihnachtsferien sogar 70 Kilo auf die Waage gebracht. Das war bei einer Größe von 1,63 Meter ausreichend, um sie als dicklich zu bezeichnen, rechtfertigte jedoch keineswegs die Beschreibung fettleibig.
    Sie sah zum Fenster, und ihr Blick streifte den Computer auf ihrem Schreibtisch. Die Leute aus ihrer Klasse veröffentlichten auf ihren Websites regelmäßig die gemeinsten Dinge über sie. Sie belegten sie mit Schimpfnamen und machten schmutzige Bemerkungen über sie. Joey Balfour war der Schlimmste. Und Greg Watt. Und dabei hatte sie Greg einst ganz süß gefunden. Als sie in der Schule einmal eine neue Bluse anhatte, hatte er ihr tatsächlich erklärt, sie sähe hübsch aus. Diese schlichte Bemerkung hatte sie wochenlang regelrecht schweben lassen. Endlos hatte sie das Kompliment in ihrem Kopf wiederholt – Du siehst hübsch aus. Du siehst hübsch aus. Du siehst hübsch aus -, bis die Worte irgendwann
undeutlich und verzerrt klangen wie auf einer zu oft abgespielten CD. Und außerdem waren sie längst von anderen abgelöst worden.
    Du hast ein so hübsches Gesicht, sagte ihre Mutter immer, und sie hatte Recht, entschied Delilah, als sie sich von ihrem Bett erhob und in dem freistehenden Spiegel neben dem Kleiderschrank ihre feinen Gesichtszüge betrachtete, die eigentlich gar nicht zu ihr passten. »Du müsstest nur zehn, zwölf Kilo abnehmen«, hörte sie ihre Mutter flüstern. »Zwölf Kilo. Zwölf Kilo «, wiederholte Delilah in dem ungläubigen Ton ihrer Großmutter.
    Aber sie wusste, dass auch zwölf Kilo nicht genug wären, um Grandma Rose zufrieden zu stellen. Sie könnte der Coca-Cola abschwören, nach sieben Bissen mit Essen aufhören und vielleicht sogar fünfzehn Kilo abnehmen, für ihre Großmutter würde das immer noch nicht reichen. Sie dachte an die Modezeitschriften, die ihre Mutter mit demselben Eifer studierte, mit dem andere in der Bibel lasen, an die Hochglanzbilder von dürren Mädchen mit tief liegenden Augen und aufgespritzten Lippen. Sie sahen alle gleich aus. Man konnte sie nicht auseinanderhalten. War es das, was ihre Großmutter wollte?
    Es war das, was sie selbst wollte, gestand Delilah sich traurig ein. Auszusehen wie alle anderen. Zu sein wie alle anderen. Unsichtbar zu sein. Sie hätte beinahe gelacht. Genau das war sie in gewisser Weise. Denn bei all ihrer Masse nahm niemand sie wirklich wahr.
    Wenn sie nur einen Menschen gehabt hätte, mit dem sie über all das hätte reden können. Eine beste Freundin. Oder eine Schwester. Sie hatte sich immer eine Schwester gewünscht, trotz der Geschichten, die ihre Mutter aus ihrer eigenen Kindheit erzählte, von dem permanenten Konkurrenzkampf der Geschwister um das Lob der Mutter und deren meisterliches Geschick, die Mädchen gegeneinander auszuspielen. »Sei dankbar, dass du ein Einzelkind bist«, sagte ihre Mutter immer.

    Wo steckte ihre Mutter? Sie war gegen halb fünf zur Apotheke gegangen, und nun war es schon beinahe zehn. Vielleicht hatte Grandma Rose Recht. Vielleicht hatte Kerri wirklich einen Unfall gehabt. Vielleicht sollte sie die Krankenhäuser in der Umgebung abtelefonieren. Vielleicht sollte sie noch einmal losgehen und sie suchen.
    Das Telefon klingelte.
    »Kannst du rangehen?«, rief ihre Großmutter von unten.
    Delilah rannte die Treppe hinunter und erreichte das Telefon in der Küche nach dem vierten Klingeln. Sie hoffte, dass der Anrufer noch nicht aufgelegt hatte. Grandma Rose saß im Nebenzimmer und war schließlich nicht gelähmt. Delilah nahm den Hörer ab und betete, dass ihre Mutter dran war. »Hallo?«
    »Delilah«, sagte die Stimme am anderen Ende tonlos.
    Delilah wusste sofort, wer es war. Seine Stimme war so einschüchternd wie alles an ihm. »Mr. Hamilton«, erwiderte sie. War ihre Mutter ins Chester’s gekommen, nachdem sie gegangen war? War sie jetzt noch dort? Gab es irgendein Problem?
    »Ich habe dich heute Abend gesehen«, sagte Cal Hamilton, »aber bevor ich mit dir reden konnte, warst du schon wieder weg.«
    »Wer

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