Nur der Tod sühnt deine Schuld
sein?«, fragte Haley.
»Ihnen und mir müsste sie nicht logisch erscheinen, nur Molly. Keine Ahnung, was das sein könnte. Was ich aber sicher weiß, ist, dass das Kind sofort therapeutische Hilfe braucht.«
Haley lehnte sich zurück und seufzte. »Was immer Sie für nötig halten, damit es ihr wieder bessergeht und wir das alles durchstehen.«
Dr.Grey nickte und holte einen kleinen Notizblock aus der Hemdtasche. »Ich gebe Ihnen die Telefonnummer eines Kollegen von mir, Dr.Jerry Tredwell. Er ist ein hervorragender Kindertherapeut.«
»Könnten Sie das nicht übernehmen? Ich meine, Sie haben Molly bereits kennengelernt. Sie sind Psychologe. Warum können Sie sie nicht therapieren?« Haley mochte Dr.Grey, und obwohl sie ihn erst seit ein paar Minuten kannte, vertraute sie ihm.
»Ich praktiziere nicht.«
»Könnten Sie in diesem Fall nicht eine Ausnahme machen?«
Seine Lippen verzogen sich zu einem hinreißenden Lächeln, aber er schüttelte den Kopf. »Sie werden Dr.Tredwell mögen.« Er gab ihr den Zettel mit der Telefonnummer. »Ich rufe ihn an und erkläre ihm, warum es so wichtig ist, dass Molly sofort einen Termin bekommt.«
Banes stand auf. Haley wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen und hätte ihn angefleht, noch nicht zu gehen. Sie hatte niemanden, mit dem sie reden konnte, niemanden, der ihr auf dem Weg durch diese Hölle, in die sich ihr Leben verwandelt hatte, beistehen konnte.
Er schien zu spüren, was in ihr vorging. Er lächelte wieder und sah sie mit einem derart freundlichen Blick an, dass sie das vertraute Zittern in der Magengrube spürte.
»Sie schaffen das, Haley«, sagte er. Mit diesen Worten verließ er den Vernehmungsraum, und Haley war wieder allein.
Grey ging in den leeren Pausenraum hinüber. Er goss sich eine Tasse Kaffee ein, in Gedanken bei der Frau, von der er sich gerade verabschiedet hatte.
Es war sehr lange her, dass eine Frau ihn beeindruckt hatte, doch etwas an Haley Lambert machte ihm bewusst, dass er schon viel zu lange auf weibliche Gesellschaft verzichtet hatte.
In dem Moment, als er den Vernehmungsraum betreten hatte, hatte sie etwas in ihm entfacht. Seit jeher hatte er eine Schwäche für blonde Frauen, aber es war nicht allein Haleys Haarfarbe. Sie hatte etwas in ihm zum Leben erweckt, von dem er angenommen hatte, es wäre längst tot. Er wusste nur nicht genau, was es war, das ihn zu ihr hinzog.
Ihrem hübschen Gesicht war der psychische Stress anzusehen, unter dem sie stand, auch wenn sie sich bemerkenswert gut im Griff gehabt hatte. Dennoch hatte er ihre Trauer gespürt, den Schrecken direkt unter der Oberfläche, ein Gefühl, das ihm nicht unbekannt war.
Der unerwartete, gewaltsame Tod eines geliebten Menschen riss einem den Boden unter den Füßen weg, führte einen an einen Ort, wo man völlig allein war, allein mit seinem Schmerz.
Grey kannte diesen Ort nur zu genau. Er hatte dort gelebt. Er hatte die Luft geatmet.
Deshalb praktizierte er auch nicht mehr als Therapeut.
Haley drehte sich um, als die Tür zum Vernehmungsraum erneut geöffnet wurde. Der hochgewachsene, gutaussehende, dunkelhaarige Mann, der hereinkam, erbleichte und blieb wie angewurzelt stehen, als er sie sah.
»Mein Gott … Sie sehen genauso aus wie sie.« Er schüttelte ruckartig den Kopf, wie um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. »Entschuldigung.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Detective Frank Marcelli. Sie müssen Haley Lambert sein.«
Sie stand auf und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und hielt sie fest. »Meine Frau und meine Kinder … wir wohnen direkt neben Monica. Sie war ein wunderbarer Mensch, eine großartige Mutter.« Erst als Detective Tolliver zurückkam, ließ Marcelli Haleys Hand los.
»Ah, ich sehe, Sie haben sich schon bekannt gemacht. War Dr.Grey hier, um mit Ihnen zu sprechen?«
»Ja, er hat mir den Namen eines Psychologen genannt, den ich anrufen soll.« Haley faltete den Zettel mit der Telefonnummer zusammen und steckte ihn in die Handtasche.
»Ich habe Ms. Lambert gerade erzählt, dass wir Monicas Nachbarn sind.« Frank Marcelli sah Haley erneut an, und in seinen braunen Augen loderte leidenschaftliche Entschlossenheit. »Wir werden den Dreckskerl schnappen. Ich verspreche Ihnen, dass wir nicht ruhen werden, bevor Monicas Mörder hinter Gittern sitzt.« Haley nickte, seltsam beruhigt. »Wie geht es Molly?«, fragte er und bedeutete ihr, wieder Platz zu nehmen.
»Ich fahre gleich zu ihr.« Haley schaute zu Tolliver.
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