Nur der Tod sühnt deine Schuld
stehen, als er die geschlossene Tür am Ende des Gangs sah. »Ist das das Zimmer, in dem man Molly unter dem Bett gefunden hat?«
»Ja, aber ich habe es sauber machen und leer räumen lassen. Da ist nichts mehr drin, außer ein paar Kartons im Kleiderschrank.«
»Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie die Tür offen ließen. Hinter verschlossenen Türen kann man sich schreckliche Dinge vorstellen.«
Haley nickte, ging den Flur hinunter und machte die Tür auf. Es war relativ einfach gewesen, das Baumhaus draußen im Garten zu meiden. Aber wie sollte sie vermeiden, Monicas Schlafzimmer zu betreten? Der Raum erinnerte sie an die Schwester, um die sie trauerte, das Baumhaus an den Mann, den sie über alles geliebt hatte, den einzigen Mann, der sie wirklich verstanden hatte.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte sie energisch. Sie musste etwas tun, um die unguten Gefühle loszuwerden.
Kurz darauf saßen sie in Monicas Auto. »Wann haben Sie den nächsten Termin bei Dr.Tredwell?«, fragte Grey.
»Heute Nachmittag um halb fünf.«
»Gut. Falls es irgendwelche Probleme gibt, wird er sich um Molly kümmern. Er ist wirklich ein guter Therapeut.«
»Ja, den Eindruck hatte ich auch«, erwiderte Haley.
»Sie haben also in Las Vegas gelebt. Was hat Sie dahin geführt?«
»Ein Windstoß. Eine Laune.« Haley zuckte mit den Schultern. »Es gab keinen besonderen Grund. Es war einfach nur die letzte von mehreren Städten, in denen ich im Laufe der Jahre gelebt habe. Das Schöne an Vegas ist, dass man an vielen Orten gleichzeitig zu sein scheint, wenn man auf dem Strip unterwegs ist.«
»Als was haben Sie dort gearbeitet? Als Showgirl?«
Haley lachte geschmeichelt; im nächsten Moment fühlte sie sich jedoch ein wenig gekränkt. Warum hatte er nicht angenommen, dass sie Lehrerin oder Managerin war? »Nein, ich habe als Barkeeperin gearbeitet. Mein … ähm … natürliches Kapital reichte nicht, um als Showgirl aufzutreten. Und ich hatte keine Lust, mich operieren zu lassen, nur um nachher halb nackt auf einer Bühne herumzuhüpfen.«
»Ich wette, Sie waren eine gute Barkeeperin«, sagte er.
»Stimmt«, erwiderte sie eine Spur trotzig. »Es gibt keinen Drink, den ich nicht mixen könnte.«
»Aber das ist es nicht, was Sie ausgezeichnet hat. Ich wette, Sie können hervorragend zuhören. Ist das nicht die Eigenschaft, die einen wirklich guten Barkeeper ausmacht?«
»Absolut«, stimmte sie ihm zu. »Aber das zeichnet auch einen guten Psychologen aus.« Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Es muss interessant sein, als Polizeipsychologe zu arbeiten. Machen Sie das ganztags?«
»Nein, ich arbeite Teilzeit. Ich habe auch noch einen Lehrauftrag am Maple Woods Community College. Und Sie, was wollen Sie in Zukunft tun?«
Haley packte das Lenkrad fester. »Ehrlich gesagt, habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Zurzeit mache ich einen Schritt nach dem anderen. Ich habe etwas Geld gespart, und dann gibt es auch noch Monicas Lebensversicherung. In absehbarer Zeit muss ich also keine größeren Entscheidungen treffen. Im Moment hat Mollys seelische Gesundheit bei mir oberste Priorität.«
»Während Sie sich darum kümmern, sollten Sie Ihre eigene seelische Gesundheit nicht vergessen.«
Haley blickte wieder zu ihm hinüber. »Sie analysieren mich nicht zufällig gerade?«
Er schenkte ihr ein so umwerfendes Lächeln, dass ihr schlagartig heiß wurde. »Vielleicht ein ganz kleines bisschen«, antwortete er.
Haley hielt vor dem Haus der Roberts’, wandte sich ihm zu und schaute ihn scharf an. »Dr.Grey, wenn es nach meiner Mutter und meiner Schwester gegangen wäre, hätte ich schon vor Jahren eine Therapie machen müssen. Ich bin rebellisch, aufsässig und habe angeblich ein Problem mit Nähe. Aber ich mag mich so, wie ich bin. Ich brauche keine Hilfe. Molly ist diejenige, die Hilfe braucht.«
Wieder hatte Haley das Gefühl, dass diese blauen Augen in ihren Kopf schauten, Geheimnisse entdeckten, von denen sie nichts wissen wollte, auf Wunden stießen, die nie geheilt waren. »Holen wir Molly nach Hause«, sagte er und öffnete die Autotür.
Als Haley ausstieg, musterte sie den attraktiven Doktor mit zusammengekniffenen Augen. Er musste ein hervorragender Psychologe sein, sonst würde er nicht für die Polizei arbeiten. Aber das bedeutete nicht, dass sie sich von ihm therapieren lassen wollte.
Von dem Moment an, als Selma Roberts sie ins Haus bat, war alles andere vergessen. Molly saß auf dem Sofa, einen kleinen Koffer
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