Nur der Tod sühnt deine Schuld
Restaurants gegenübersaß, kreisten ihre Gedanken immer wieder um Sex. Grey hatte wahnsinnig schöne Lippen, und Haley fragte sich, wie sie wohl schmeckten. Ob seine Küsse sanft und zärtlich waren oder fest und fordernd?
Grey hatte große, schlanke Hände, und sie stellte sich vor, wie sie über ihren Körper glitten, wie sie fiebernd ihre Brüste umfassten. Als ihre Phantasie mit ihr durchging und sie sich vorstellte, wie Grey nackt neben ihr im Bett lag, stöhnte sie leise auf.
Schnell tauchte sie eine Pommes in den Ketchup-Klecks auf ihrem Teller und fragte sich, ob sie nun vollständig den Verstand verloren hatte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Grey sanft.
»Ja, ich bin nur etwas gestresst.«
»Und wie schlafen Sie?«
»Miserabel«, gab sie zu. »Mir ist das Schrecklichste passiert, was ich mir überhaupt vorstellen kann. Ein Mensch, den ich geliebt habe, wurde brutal ermordet. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass das noch nicht alles war. Dass noch etwas passiert.«
»Unter den Umständen ist das ganz normal.«
»Es mag ja normal sein, aber für mich ist es verdammt unangenehm«, erwiderte Haley düster, dann seufzte sie. »Ich bin heute keine besonders unterhaltsame Gesprächspartnerin.«
»Es ist nicht Ihre Aufgabe, mich zu unterhalten«, gab Grey zurück. »Wie geht es denn mit Ihrer Nachbarin, der Stepford-Frau?«
»Mit Angela? Sie ist großartig. Ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde, auch wenn ich bestimmt nie so werde wie sie. Sie ist einfach perfekt. Gestern Abend kam ihr Mann spät nach Hause, und sein Abendessen stand im Backofen warm. Angela hat Frank sofort einen Drink gebracht und ihm gleich auch noch die Schultern massiert.«
»Hört sich paradiesisch an«, sagte Grey mit einem amüsierten Blitzen in den Augen.
Haley sah ihn gespielt vorwurfsvoll an. »Sie trägt sogar Schürzen. Ich hatte keine Ahnung, dass es noch Frauen gibt, die Schürzen tragen, aber Angela hat sie in allen Farben.« Haley tupfte sich den Mund mit der Serviette. »Angela ist sehr nett, und sie hilft mir wahnsinnig, aber meine beste Freundin wird sie wohl nie werden. Ich könnte ihr nie mein Herz ausschütten oder meine Geheimnisse anvertrauen.«
Grey sah Haley forschend an. »Gab es denn schon mal so jemanden für Sie?«
Haley dachte eine ganze Weile über die Frage nach. »Vielleicht meinen Vater, als er noch lebte, aber danach niemand mehr.«
»Und warum ist das so?«
Haley kniff die Augen zusammen. »Analysieren Sie mich etwa schon wieder?«
Er grinste. »Sie müssen nicht so empfindlich sein. Manchmal frage ich einfach nur, um Sie besser kennenzulernen.«
»Dann lautet die Antwort, dass ich es nicht weiß. Ich habe nie jemandem genug vertraut, um ihn in meine Geheimnisse einzuweihen.«
»Was ist mit Monica oder Ihrer Mutter?«
Haley lachte. »Niemals. Wenn ich Mom oder Monica von meinen geheimsten Gedanken erzählt hätte, hätten sie mich mit zwölf Jahren einweisen lassen.« Sie verdrehte die Augen. »So was erzählt man einem Psychologen wahrscheinlich besser nicht. Wie sieht es bei Ihnen aus? Haben Sie Ihrer Frau all Ihre Geheimnisse anvertraut?«
Grey lehnte sich zurück, er hatte einen abwesenden Blick. »Am Anfang unserer Ehe ja. Sarah und ich hatten uns im Studium kennengelernt. Es gab eine Zeit, da haben wir uns alles erzählt.«
»Und was ist dann passiert?«
»Ich weiß es nicht genau. Vermutlich war jeder zu sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Ich habe hart gearbeitet, um meine Praxis zu etablieren. Und Sarah hat viel Zeit in ehrenamtliche und wohltätige Arbeit gesteckt.« Wie immer, wenn er von seiner Ehe sprach, bekamen seine Augen einen traurigen Ausdruck. Haley fragte sich, welche ungelösten Probleme aus der Vergangenheit der gute Dr.Grey mit sich herumschleppte.
Irgendwie spürte sie, dass er seine ganz eigenen Dämonen hatte. Haley stellte verblüfft fest, dass sie sich bisher nie um die Dämonen anderer Menschen gekümmert hatte. Genauso wie sie niemandem ihre geheimsten Gedanken offenbart hatte, wollte sie auch nicht, dass jemand anders seine Geheimnisse mit ihr teilte. Aber Greys Geheimnis interessierte sie. Sie wollte alles wissen, was es über ihn zu wissen gab. Und das beunruhigte sie mehr als nur ein bisschen.
»Anscheinend«, fuhr er fort, »haben wir uns im Trubel des Alltags voneinander entfernt und aufgehört, über die wichtigen Dinge miteinander zu reden.«
»Wenn Sie die Chance hätten, noch mal von vorn anzufangen, würden Sie
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