Nur der Tod sühnt deine Schuld
irgendetwas anders machen?«
Haley hätte es nicht für möglich gehalten, dass seine traurigen Augen noch trauriger blicken konnten. »Späte Einsicht kann ein Geschenk sein, aber auch ein schrecklicher Fluch«, sagte er. »Aber um Ihre Frage zu beantworten, ja, ich würde vieles anders machen. Und Sie? Bereuen Sie irgendetwas in Ihrem Leben?«
»Allerdings«, antwortete Haley wie aus der Pistole geschossen. »Wenn ich noch mal von vorn anfangen könnte, würde ich mir diese Tattoos gar nicht erst machen lassen.«
»Ist das alles?« Er zog eine Augenbraue hoch.
»Das ist alles, worüber ich im Moment zu reden bereit bin«, sagte sie grinsend.
»Es fällt Ihnen nicht leicht, anderen zu vertrauen, stimmt’s, Haley?«
»Die meisten Männer, mit denen ich ausgegangen bin, hatten mein Vertrauen nicht verdient.« Komisch, dass sie früher nie darüber nachgedacht hatte, aber anscheinend hatte sie sich immer Männer ausgesucht, die mehr Probleme hatten als sie selbst. Wenn sie ein Drachen war, dann waren die Typen, mit denen sie sich eingelassen hatte, Raketen.
»Mal sehen, ob es mir gelingt, das zu ändern«, sagte er mit einem verführerischen Lächeln in den Augen.
»Das sollte Ihnen nicht allzu schwerfallen. Ist das nicht Ihre Hauptaufgabe als Therapeut? Vertrauen schaffen?«, erwiderte sie leichthin.
»Haley, dass ich Ihr Vertrauen erringen will, hat absolut nichts mit meinem Beruf zu tun, sondern ganz allein damit, dass ich ein Mann bin.«
Für einen Moment stockte Haley der Atem. Ihr wurde heiß, und wieder hatte sie das Gefühl, dass ihr dieser Mann gefährlich werden konnte, auf eine höchst angenehme Weise gefährlich.
»Dr.Banes, ich habe den Eindruck, Sie wollen mich verführen«, sagte sie atemlos.
»Vielleicht liegen Sie da gar nicht so falsch, Ms. Lambert«, erwiderte er. »Obwohl meine Verführungskünste ein wenig eingerostet sind. Ich weiß kaum noch, wie das geht.«
»Oh, glauben Sie mir, Sie machen Ihre Sache verdammt gut.« Haley konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so in Versuchung geführt worden war. Es hatte nicht unbedingt mit dem zu tun, was Grey sagte, und er hatte sie bisher auch kaum berührt. Das Verführerische lag in seinem Blick.
Er verführte sie, indem er sie ansah, als sei sie die begehrenswerteste, schönste Frau auf der Welt. Indem er seinen Blick ganz auf sie konzentrierte, als gäbe es niemand sonst in dem Raum, niemand sonst auf dem Planeten.
»Leider muss ich die Verführung unterbrechen. Die Pflicht ruft«, sagte er mit offensichtlichem Bedauern.
»Das kommt aber höchst ungelegen«, antwortete sie.
Sie standen vom Tisch auf, und als sie zum Ausgang gingen, legte Grey eine Hand auf Haleys Rücken. Die Berührung jagte einen Stromstoß durch ihren Körper.
Draußen auf dem Gehweg nahm Grey seine Hand weg, blieb aber dicht an Haleys Seite, so dass sie sein erregendes Eau de Cologne riechen und seinen warmen Atem im Gesicht spüren konnte. »Irgendwann, wenn die Dinge sich ein wenig beruhigt haben und es Molly bessergeht, würde ich gern bei mir zu Hause für Sie kochen.«
»Sehr gern«, gab Haley zurück. »Wird dieser Tag denn jemals kommen? Der Tag, an dem sich die Dinge beruhigt haben und es Molly bessergeht?«
Grey hob die Hand und legte sie in einer unendlich zarten Geste an ihre Wange. Haley erbebte. Wann war sie zuletzt von einem Mann so zärtlich berührt worden? Sie konnte sich nicht erinnern. »Dieser Tag wird kommen, das verspreche ich Ihnen«, sagte er leise.
Er ließ die Hand sinken und trat einen Schritt zurück. »Und jetzt muss ich los. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen?«
Sie lächelte ihn an. »Sie sind die Nummer eins in meinem Nummernspeicher.«
Später, als sie nach Hause fuhr, fragte Haley sich, ob das, was sie für Grey Banes empfand, eine seltsame Art von Übertragung sein konnte. Hatte sie nicht irgendwo gelesen, dass Patienten sich gelegentlich in ihre Therapeuten verliebten?
Der Haken an der Theorie war, dass Haley nicht die Patientin war und Grey nicht ihr Therapeut. Vielleicht war das Ganze nichts anderes als Chemie oder die Ausschüttung von Hormonen oder die Reaktion darauf, dass Haley sich ganz allein an einem dunklen, unheimlichen Ort befand. Wie auch immer, Grey Banes zog sie magisch an.
Haley wusste, dass sie die Sache besser langsam angehen lassen sollte, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass sie es genauso machen würde wie immer: sich kopfüber hineinstürzen und über die Folgen später
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