Nur die Küsse zählen
Stelle stehen.“
Aurelia schüttelte den Kopf. „Nein, Mom. Ich muss in meinem Leben an erster Stelle stehen. Ich muss mich um mich kümmern.“
Ihre Mutter stemmte die Hände in die Hüften. „Ich verstehe. Egoistisch ohne Ende. Ich weiß, was du dir einredest. Im Zweifel alle Schuld auf die Mutter schieben. Ich nehme an, das ist alles mein Fehler.“
„Das habe ich nicht gesagt, und das denke ich auch nicht.Aber wenn du in deinem Leben an erster Stelle stehst und auch in meinem, wo bleibe ich dann?“
Sie rechnete mit keiner Antwort, trotzdem wartete sie aus Höflichkeit ein paar Sekunden. Ihre Mutter öffnete und schloss den Mund ein paar Mal.
„Ich melde mich bald wieder“, sagte Aurelia und ging.
Auf dem Weg nach Hause ging sie den Wortwechsel in Gedanken noch einmal durch. Zum ersten Mal war sie zufrieden mit dem, was sie gesagt hatte. Sie war vielleicht noch nicht da angekommen, wo sie hinwollte, aber sie machte Fortschritte.
Plötzlich verspürte sie den Wunsch, Stephen anzurufen und ihm zu erzählen, was passiert war. Doch das konnte sie nicht. Sie sahen einander in der Sendung und sonst nicht. Es war die richtige Entscheidung, das wusste sie – auch wenn das die Einsamkeit nicht erträglicher machte.
Dakota wickelte Hannah in ein Handtuch. Nach dem Bad war ihre Tochter rosig und warm. Denise stand neben dem Wickeltisch und kitzelte ihre Enkeltochter an den Füßen.
„Wer ist das hübsche kleine Mädchen hier?“, fragte sie mit Singsang in der Stimme. „Wer ist meine kleine Prinzessin?“
Hannah wedelte mit den Armen in der Luft und lachte.
„Ihr geht es schon viel besser“, sagte Dakota. Zu wissen, dass ihre Tochter langsam gesund wurde, war für sie eine riesige Erleichterung. Sich daran zu gewöhnen, sich um ein Baby zu kümmern, war schwer genug, aber wenn dieses Baby auch noch krank war, wurde es zum Albtraum.
Sie und Hannah lebten jetzt beinah eine Woche zusammen. Inzwischen war so etwas wie Routine eingezogen. Der Nachsorgebesuch bei der Kinderärztin war schon wesentlich besser gelaufen als der erste Termin. Die Ärztin hatte bestätigt, dass Hannah sich gut machte. Sie hatte ein wenig zugenommen, ihre Ohren waren frei. Hannah musste das Antibiotikum noch zu Ende nehmen, auch das Zahnen war noch nicht vorbei. Aber das war alles machbar.
„Sie isst sehr gut“, bemerkte Denise. „Ich sehe direkt, dass es ihr besser geht. Hast du die Nahrung schon umgestellt?“
„Ja. Wir hatten Glück. Sie hat die Umstellung gut vertragen. Die Ärztin meint, in einer Woche könnte ich langsam mit fester Nahrung anfangen. Das ist eine ganze Woche früher, als wir erwartet hatten. Damit wird sie noch mehr Gewicht zulegen und zu ihrer Altersgruppe aufschließen.“
Sie trocknete das kleine Mädchen zu Ende ab, wickelte es und zog ihm einen Pyjama an. Inzwischen war Hannah schon halb eingeschlafen. Ihre Lider waren ganz schwer, und sie entspannte sich sichtlich.
„Willst du sie ins Bett bringen?“, fragte Dakota ihre Mutter.
Denise lächelte strahlend. „Danke“, flüsterte sie und nahm das Baby auf den Arm.
Hannah kuschelte sich an sie. Denise ging zum Bettchen und legte die Kleine vorsichtig hinein. Nachdem sie das Mobile in Gang gesetzt hatte, dimmte sie das Licht und verließ das Zimmer.
„Ich habe so ein Glück mit ihr.“ Dakota stellte die Lautstärke des Babyfons ein. „Hannah ist gern mit verschiedenen Leuten zusammen. Ich hatte ja gehört, dass Kinder aus Waisenhäusern allem Neuen gegenüber sehr scheu sein können. In dieser Stadt wäre das ein echtes Problem.“
Sie setzten sich aufs Sofa. Denise schaute sie an.
„Du machst das übrigens wirklich gut“, sagte sie. „Ich weiß, die Hälfte der Zeit hast du fürchterliche Angst, aber das merkt man dir nicht an. Bald wirst du nur noch ein Viertel der Zeit Angst haben, darauf kannst du dich schon mal freuen.“
„Danke“, erwiderte Dakota. „Du hast recht. Ich habe Angst. Es wird aber langsam besser. Zu wissen, dass sie gesund wird, hilft sehr. Genau wie die Besuche von Freunden. Ethan und Liz sind vor ein paar Tagen hier gewesen, und auf der Arbeit kommen immer wieder Leute vorbei.“ Sie lächelte ihre Mutter an. „Du hilfst mir natürlich auch sehr.“
„Ich bin gerne hier. Schließlich habe ich endlich ein Enkelkind, das in der Nähe wohnt. Du musst mir bitte nur rechtzeitigsagen, wenn ich zu einer dieser nervtötenden, sich ständig einmischenden Omas werde. Ich werde dann zwar nicht unbedingt mein
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