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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die im Sommer von den Gutsbesitzern zum Reiten getragen wurden, machten ihn zur Attraktion von Sohrau. In den Abendstunden saß er oft auf der Bank vor dem
    Hotel und rauchte eine Pfeife mit einem weißen Kopf, die gleichfalls Aufsehen erregte. Morgens, wenn er in einer gemieteten Droschke loszog, um die Dörfler der Umgebung für Trachtenstoffe und Hornknöpfe zu gewinnen, verabschiedete er sich mit einem herzhaften »Grüß Gott«. Wenn Walter das hörte, stellte er sich vor, die Leute aus München wären auserwählt und würden in unmittelbarer Nähe von Gott wohnen. Auch als er dazu überging, die Menschheit differenzierter zu sehen, blieb der Wunsch, den schönen frommen Gruß einmal an Ort und Stelle zu hören - und endlich einmal ein weißes Würstchen mit bräunlichem, süßlich schmeckenden Mostrich zu essen.
    »Grüß Gott«, seufzte er. Seine Stirn pochte. Er kühlte sie an der Fensterscheibe. »Schon wieder eine Gelegenheit, die ich verpasst habe. So schnell werde ich nicht mehr nach München kommen.«
    »Ab der Grenze«, tröstete Greschek, »ist München auch nur eine Stadt wie jede andere. Von wegen Hofbräuhaus und Feldherrnhalle und dem ganzen Nazizirkus. Schauen Sie doch lieber mal nach, wann und wo die Grenze überhaupt kommt. Herr Wolf hat uns ja alles genau aufgeschrieben.«
    »Das weiß ich auswendig. In einer Stunde und fünfunddreißig Minuten. In Kufstein schert es die Leute einen Dreck, ob sie am deutschen Wesen genesen oder nicht. Und wenn die von einem >Braunen< sprechen, meinen sie einen Kaffee und keinen Nazibonzen. Du glückliches Österreich, heißt es in der Geschichte.«
    »Ich weiß oft nicht, wovon Sie reden. Ist es Ihnen nicht langweilig, mit mir zu reisen? Das habe ich mich schon früher gefragt, in Prag und damals in Karlsbad.« »Dafür wissen Sie, wie einer in einer Zeit, in der nur noch der Teufel das Sagen hat, ein Mensch bleibt. Für den Fall, dass mich in Afrika ein Löwe frisst, vergessen Sie nicht, dass ich das gesagt habe. Nie. Ach Greschek, ich wollt, ich wäre zwei Stunden älter. Vielleicht kann ich da schon wieder lachen, dass ich mir vor der Grenze fast in die Hose geschissen habe.«
    »Wovor sollen wir denn Angst haben? Die Nazis sagen doch immer, sie sind froh über jeden Juden, der rausgeht aus Deutschland.«
    »Und wie wollen Sie Ihre Reise erklären, mein Freund? Sie haben nur einen jüdischen Kopf, und den sieht man Ihnen nicht an. Der Kopf rechtfertigt laut Gesetz auch keine Auswanderung. Im Gegenteil. Wer wie Sie einen Stammbaum mit vier arischen Großeltern vorweisen kann, hat Volk und Führer zu dienen. Bis zum letzten Blutstropfen.«
    »Es wird doch nicht verboten sein, sich vorher unsere geliebten italienischen Brüder anzuschauen.«
    »Den Wunsch glaubt Ihnen noch nicht einmal Hitler persönlich. Sagen Sie lieber, Sie wollen weiter nach Neapel reisen und dort sterben. Das klingt zwar ebenso unwahrscheinlich, ist aber von Goethe. Von dem haben selbst die Nazis schon mal gehört.«
    »Die Nazis und der Josef Greschek. Die Frau Ina wohnt doch in der Goethestraße.«
    Die letzten Lichter von München waren noch zu sehen, als ein hagerer Mann mit zwei großen Koffern ins Abteil stolperte. Er atmete, als hätte er rennen müssen, um den Zug zu erreichen, und er klemmte, wie Walter es bei der Abfahrt aus Breslau getan hatte, seine Aktentasche fest unter den Arm. Auf den ersten Blick sah er dem Hand-lungsreisenden aus »Redlichs Hotel« ähnlich - schon wegen des moosgrünen Huts. Einen Bart hatte er zwar nicht, dafür einen Schnurrbart, der sehr großstädtisch wirkte; er lachte mit tiefer Stimme und schmetterte laut »Grüß Gott«. Allerdings bemerkte Walter sofort, dass der Gruß überdeutlich artikuliert war.
    Der Gesichtsausdruck war ängstlich, die Augenlider flatterten. Das seltsam klingende »Grüß Gott« und der Umstand, dass der Mann keinen Schmuck an seinem Hut hatte wie die jungen Leute, die in Augsburg ausgestiegen waren, und dass er sofort fragte, ob der Zug Verspätung hätte oder pünktlich in Kufstein sein würde, ließen bei Walter die erste Alarmglocke klingeln. Er überlegte, ob der unwillkommene Begleiter sich eventuell eigens für die Reise eingekleidet hätte, und wenn ja, weshalb eine Verkleidung nötig wäre. Was vermochten wohl ein bayerischer Hut und ein bayerischer Gruß in einem Zug zu bewirken, der nach Genua unterwegs war?
    Vor 1933, das stand für Walter schnell fest, wären alberne Verkleidungen und Sprachspiele allenfalls

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