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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die Mohnklöße zu gehen. Walter argumentierte, er hätte sich Jahr für Jahr zu Silvester den Magen fürchterlich an Mohnklößen verdorben. Nun wolle er einmal in seinem Leben vernünftig sein und sich zurückhalten, doch innerhalb von zehn Minuten hatte er die ganze Schüssel geleert.
    »Mich wundert«, überlegte er, »dass Grete um diese Jahreszeit überhaupt Mohnklöße macht. Wir haben doch nicht Weihnachten.«
    »Sie wird gewusst haben, dass Sie keine mehr kriegen, Herr Doktor. Grete ist so eine. Sie redet nicht viel, aber meistens weiß sie viel mehr, als man ihr zutraut. Ich hatte mal einen Hund, der genauso war. Frido hieß er. Den hatte ich richtig gern.«
    »Das müssen Sie Grete mal erzählen. Frauen schwärmen für solche Geschichten. Haben Sie vielleicht von Ihrem Herrn Hund gelernt, nicht auf eine Frage zu antworten?«
    »Wieso?«
    »Ich hab Sie vor einer Stunde und zehn Minuten gefragt, wie weit Sie mitfahren können, und ich warte immer noch auf eine Antwort.«
    »Bis Genua natürlich«, sagte Greschek. Er leckte das Eier-häckerle vom Taschenmesser und wischte seine Hände an der grünen Fenstergardine ab. »Was haben Sie gedacht?«, fragte er vorwurfsvoll. »Ich lass’ Sie doch nicht in Ihrem Zustand allein zu den Italienern fahren. Die sind doch ganz unberechenbar, unsere neuen politischen Freunde. Seitdem die ihren Mussolini haben, sind sie noch viel schlimmer geworden. Erst neulich habe ich gelesen, dass sie sogar Vögel fressen.«
    »Wir doch auch. Oder haben Sie noch nie eine gebratene Taube gegessen? Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass Sie bis Genua mitfahren. Das kann ich auch gar nicht annehmen. Das kostet Sie ein Vermögen, und wer weiß, ob sich nicht in Leobschütz herumspricht, dass ein ehrenwerter katholischer Geschäftsmann einen nichtarischen Volksschädling ins Exil begleitet hat.«
    »Ja, glauben Sie, ich lass mir von den Nazis verbieten, dass ich zu meinem Papst fahre.«
    »Der wohnt nicht in Genua, mein Freund.«
    »Da können Sie mal wieder sehen, dass man auf den nicht zählen kann. Jedenfalls habe ich mich nicht umsonst mit den beiden Decken hier abgeschleppt. Grete hat sie mir für uns beide mitgegeben.«
    »Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich Ihnen danken soll, Greschek. Sagt man bei Ihnen nicht: Gott vergelt’s?« »Sagt man das denn bei Ihnen nicht?«
    »Bei uns vergilt Gott gerade den Umstand, dass wir mal um das Goldene Kalb getanzt sind und dass sich viele jüdische Rindviecher haben taufen lassen, um zu der feinen Gesellschaft zu gehören, die ihnen jetzt beweist, dass man seinen Glauben nicht aufgeben kann wie einen Mantel an der Theatergarderobe.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Die auch nicht, die sich haben taufen lassen. Die dachten, sie hätten fürs Leben ausgesorgt. Schade, dass man von der Bahn aus so wenig von Görlitz sieht. Ich hab mal einen Studienfreund besucht, der sich dort als Kinderarzt niederließ, und wollte der Peter- und Paulskirche zum Abschied winken. Und der Brücke über die Neiße. Fragen Sie mal Regina, was sich auf Neiße reimt.«
    »Ich kann mir denken, was Sie ihr beigebracht haben.« »Heil Hitler!«, rief der Schaffner. »Die Fahrkarten. Ich bin aufgehalten worden.«
    Er war ein klein gewachsener Mann und sein rechter Arm durch eine Verwundung im Krieg nicht so beweglich, wie es lebensnotwendig war, seitdem die hochgestreckte Rechte für Führertreue und politische Verlässlichkeit stand. Weil nach einem Gasangriff an der Westfront auch seine Stimme nur bedingt tauglich für einen deutschen Beamten war, ersetzte er die fehlende Autorität durch Haltung und aufeinandergepresste Lippen. Die von ihm erwähnte Verzögerung hatte als unerfreuliche Auseinandersetzung mit einem Reisenden in der zweiten Klasse begonnen. Im Verlauf des Gefechts hatte der sich als ein in Zivil reisender Oberst entpuppt. Dass der unglückliche Schaffner die Zusammenhänge zu spät begriffen hatte, hatte enorm an seinen ohnehin schwachen Kräften gezehrt. So kam es, dass er Walters Fahrkarte nur sehr flüchtig anschaute und gar nicht auf die Idee kam, dass er es mit einem Juden zu tun hatte, der im Begriff war auszuwandern. Bei Greschek wurde der Reichsbahner durch einen Ruf im Befehlston aus dem Nachbarabteil abgelenkt. In Erinnerung an den verkannten Oberst fluchte er leise und zog sehr laut die Tür zu.
    »Prost«, sagte Greschek. Er entkorkte die Flasche und hielt sie Walter hin. Wer ihn nicht kannte, hätte ihm ein
    Zwinkern unterstellt. Der

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